The (Un)Wonted´s

Kapitel 30: Mi Casa Es Su Casa

Heimat des Fortschritts, Progressia

In letzter Zeit hatte sich im Theater Hollywood so einiges getan. Das Dach wurde geflickt, die einsturzgefährdeten Wände stabilisiert, und die zugenagelten Fenster geöffnet, um auch mal etwas Tageslicht in das Gebäude zu lassen. Zudem beseitigten sie jeglichen Müll, Schutt und sonstigen Unrat, der sich über die Jahre im Foyer, zwischen den Rängen, auf den Toiletten, in Abstellräumen und vor allem im Backstagebereich sammelte. Zusätzlich putzten und reinigten sie die Bereiche so gut sie konnten und desinfizierten diese sogar, nur um auf Nummer sicher zu gehen.
In den Köpfen der (Un)Wonted’s schlummerten noch viele weitere Ideen, deren Umsetzung vorerst allerdings verschoben werden musste. Fehlende Arbeitskräfte, mangelndes Know-how und vergeblich gesuchte Motivation stoppten sie in ihrem Vorhaben. Wenigstens fühlten sich die wenigen Mitglieder der Gilde wohl, obgleich deren Standard nicht viel tiefer liegen konnte.

Dicy, V und Bark stapften gerade durch die Tore des Theaters, einer von Ihnen noch immer im Schwitzkasten, und hinterließen eine Spur aus Schlamm und Dreck auf dem frisch gebohnerten Dielenboden der Lobby. Rechter Hand, direkt neben dem Eingang, lag der ehemalige Ticketschalter, bei dem unentschlossene Gäste des Hauses noch in letzter Sekunde vor Aufführung eine Eintrittskarte erwerben konnten. Heute lebte in dem, zum Pförtnerhaus umfunktionierten Kämmerchen, niemand geringeres als Markus, die arbeitslose Existenz.

„Ähem!“, räusperte er sich. „Von wegen arbeitslos!“
Pardon, die ehemals arbeitslose Existenz, welche jetzt als Concierge des Hauses tätig war.
„Schon besser!“, willigte er ein.
Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass du aufhörst, die 4. Wand zu brechen?
„Du hast es vorgeschlagen und ich meinte, dass ich darüber nachdenke“, erklärte er mir, während er auf seiner Pritsche ein Nickerchen zu halten versuchte.
Und?
„Hab mich noch nicht entschieden.“

Direkt neben dem Schalter befand sich früher die Garderobe, welche heute dieselbe Funktion innehatte, zeitgleich jedoch als Markus’ Wohnstube fungierte. Von Außen sah es aus, wie das mickrige Zimmer eines Studenten, von Innen ließe es sich allerdings schnell mit den Privatgemächern eines Kaisers verwechseln.
„Dimensions- und Raummagie sei Dank!“
So konnte man seine Jacken, Umhänge, Mäntel und was man sonst noch alles abgeben wollte, einfach hineinwerfen. Sobald sie den Tresen passierten, an dem einst die Kleidung entgegengenommen wurde, verschluckte sie ein kleines Portal und hing sie fein säuberlich auf einen der unzähligen Bügel. Eine Marke landete in der Hand des Gastes, welche er beim Verlassen des Theaters einfach genauso in die Garderobe zu schmeißen brauchte. Wie von Zauberhand schmiegten sich seine Gewänder dann an ihn, ohne dass es weiteres Zutun benötigte.
„Wie von Zauberhand“, beweihräucherte sich die Existenz selbst und fuchtelte dabei, wie ein Dirigent, über ihrem, im Halbschlaf versunkenen, Kopf umher.

So oder so verhinderte all dieser magische Schnickschnack nicht, dass V und die Anderen den Boden vor seinen Augen verdreckten.
„Eh!“, schrie Markus.
Er sprang von seiner Liege auf und starrte aus seinem Häuschen.
„Und wer macht die Schweinerei sauber?“
„Nur zu, tu’ dir keinen Zwang an“, zischte Dicy sichtlich genervt.
„Seh’ ich aus, wie eure Putze, oder was?“
„Wofür bezahlen wir dich denn, hä?“, peitschte sie noch lauter zurück.
„Ihr bezahlt mich überhaupt nicht!“, rief Markus ihr hinterher, während die Drei durch eine Tür in den Saal traten.
Dann legte er sich wieder hin, ließ mit einem Fingerschnippen den Dreck auf dem Boden, sowie auf der Sohle ihrer Stiefel verschwinden und murmelte:
„Fuck, gehen die mir auf den Sack!“

Eigentliche liebte Markus das Dreiergespann, bestehend aus Dicy, Eddy und V.
„Das tat Markus definitiv nicht!“
Und ob. Er zeigte es ihnen zwar nie, sein Verhalten sprach allerdings Bände.
„Pff!“
Aus seinem Blickwinkel war es nur zu verständlich, dass er sich fühlte, wie er sich fühlte. Er wurde als K.I. geboren, dachte jedoch, ein Mensch zu sein. Er gewann seine Freiheit mithilfe eines Menschen. Er lebte in Fantasia, an der Seite der Menschen. Und schließlich bekämpfte er sein eigenes Volk, die K.I.‘s, an der Seite der Menschen.
Seit jeher sah man in ihm einen Gott, ein Monster, eine übermächtige Kreatur oder aber eine Maschine, ein Werkzeug, dass lediglich den Wunsch seines Meisters erfüllen sollte. Die (Un)Wonted’s hingegen behandelten ihn so, wie sie auch jeden Anderen behandelten. Und damit waren sie die Ersten, seit …
„Das reicht!“, unterbrach Markus mich.
Verzeihung.
Jedenfalls stand er, ein paar Tage nach den Ereignissen in meinem Büro, bei ihnen auf der Matte. Da er Inferna nicht direkt bekämpfen konnte, wollte er seine Freunde auf andere Art und Weise unterstützen. Damit übernahm er die Aufgaben des Sicherheitsbeauftragten, Portiers und Spaßvogels des Hauptquartiers der (Un)Wonted’s. Und zumindest was die Sicherheit betrifft, konnten sie niemanden Besseren finden.
„Was soll das denn heißen?“

Im Saal angekommen, begrüßte sie ein alter Bekannter, der in dem baufälligen Gebäude ein neues Zuhause fand.
„Willkommen zurück, wie lief eure Muuuuuuhssion?“ grüßte Terence, der bullige Barkeeper des Bierstiers.
„Frag’ lieber nicht“, warnte V, der an der provisorischen Bar Platz nahm.
„So schlimm?“
„Schlimmer!“, beteiligte sich Dicy, Bark noch immer fest im Griff haltend.
„Lasst den alten Terence eure Gemüüüüüühter etwas aufhellen, ja?“, muhte er und stellte den Beiden einen Krug Bier und einen lieblichen Rotwein vor die Nase.
„Zum Glück haben wir dich, Kumpel! Du bist der Einzige, auf den ich mich verlassen kann“, sagte Dicy und nahm einen tiefen Schluck.

Terence schloss sich den (Un)Wonted’s an, nachdem sie ihn vor den Ruinen seiner Taverne gefunden hatten. Da Artific versuchte, alle Spuren, die eventuell zu ihm führten, zu verwischen, musste auch der Bierstier daran glauben. So kehrte er eines Tages, an dem unsere Protagonisten noch immer in Fantasia waren, zu der Kaschemme zurück und verarbeitete alles zu Kleinholz. Als Terence am nächsten Morgen wie gewohnt zur Arbeit kam, brannte das Feuer bereits aus und ließ nichts als Asche zurück.
Da sich Eddy und Co. für diesen Schlamassel verantwortlich fühlten, nahmen sie den freundlichen Barmann kurzerhand in ihrem Zuhause auf. Nicht zuletzt, da ihnen der Gedanke an eine eigene Hausbar, die Herzen höher schlagen ließ.

Ohne lange zu überlegen, begannen sie gemeinsam an einem Plan zu feilen, welcher genügend Platz für Terence’ Traumkneipe innerhalb des Theaters schaffen sollte. 
Das Ergebnis war der Abriss der vorderen Hälfte des Auditoriums. So räumte man nicht nur eine genügend große Fläche frei, sondern bekam das nötige Baumaterial direkt noch dazu.
Die hintere, höhere Hälfte, an der man vorbeilief, wenn man den Saal von den links oder rechts positionierten Türen betrat, verblieb als Eddys Rückzugsort.
Zwischen der offengehaltenen Bar und der Bühne, auf welcher sich noch immer Dicys Werkstatt befand, stellten sie einige Stühle und Tische auf.
Mittlerweile war im neugeborenen Bierstier genauso viel, wenn nicht sogar mehr los als im Alten. Damit war sie nicht nur Treffpunkt und Informationszentrum, sondern auch Haupteinnahmequelle der Gilde geworden.

Während V seiner Partnerin einen scharfen Blick zuwarf, da ihn ihr Kommentar zu treffen schien, hob der Fischmensch unschuldig eine Hand.
„Bark würde auch ein Fässchen vertragen.“
„Du hast Alkoholverbot, bis du deinen Scheiß zusammenbekommst!“, meckerte der Gildenmeister.
„Aber Barks Scheiß ist doch zusammen?“, wunderte er sich.
„Dein Scheiß ist so weit auseinander, du bräuchtest eigentlich zwei Ärsche!“, bemerkte Dicy, welche gerade ihren Krug zum Auffüllen auf die Theke stellte und über ihren eigenen Gag schmunzeln musste.

„Wo ist er?“, fragte V in einem ernsten Ton.
„Oben, auf dem Rang, wo sonst“, antworte Terence kurz und knapp.
„Shit!“, fluchte Dicy. „Eddy, beweg deinen Arsch hier runter!“
Plötzlich begann es hinter dem Bierstier zu krachen und zu scheppern, so, als würde jemand zwischen den Sitzen entlang schwanken und dabei gegen alles rempeln, was sich in unmittelbarer Nähe befand. Einen Moment später klatschte der regungslose Leib des Supies vom Rang und landete zwischen seinen Gefährten.

„Was is’?“, lallte er, ohne das Gesicht vom Boden zu heben.
„Zur Hölle, Ed, wie viel hast du schon wieder gesoffen?“, erkundigte sich V besorgt.
„Nur drei, vielleicht vier klitzekleine Schlückchen, ich schwör’s!“, antwortete er und hielt beweisend die Knochen-Kürbisflasche, welche er von Venorax bekam, hoch.
Vor kurzem erkannte Edward, welche erstaunlichen Kräfte in der Flasche schlummerten. Sie war dazu in der Lage, sich permanent und unaufhörlich selbst zu füllen, wenn man sie vorher mit einer Flüssigkeit seiner Wahl voll machte. Die Meisten hätten dies zu ihrem Vorteil genutzt und ein Allheilmittel, dunkle Materie oder die goldene Milch eines Jungbrunnens hineingekippt, Eddy hingegen entschied sich für Drachenfeuer-Kehlenschneider, den stärksten Schnaps, den man auf Progressia finden konnte.

„Man, Eddy, komm mal klar, Mann! Ist das deine Vorstellung davon, ein beschissener Held zu sein?“, belehrte Dicy ihn zum hundertsten Mal, allein diesen Monat.
„Dicy, nimm ihn nicht so hart …“, beruhigte V.
„Nein! Langsam reicht’s! Ich werde Fischkopp hier …“, sie nickte zu Bark, welcher sich noch immer im Schwitzkasten befand und gerade an Eddys Flasche nippte. „… Nie wieder mitnehmen!“
„Du übertreibst“, winkte V ab.
„Er ist zu blöd, eine verdammte Taschenlampe anzuschmeißen!“, erinnerte sie ihn mit herausgestrecktem Zeigefinger an die jüngsten Ereignisse.
Anschließend hämmerte sie vor Wut mit der Faust auf den Tresen und nahm selbst einen Schluck, von Eddys Teufelszeug.

„Ich stör’ ja wirklich nur ungern …“, traute sich Terence vorsichtig zu Wort. „… Aber mir sind Informationen über Du-weißt-schon-wem zu Ohren gekommen.“
„Das isses!“, brüllte sie, kickte Bark mit einem Arschtritt von sich und zog stattdessen Eddy vom Boden weg und an ihre Seite. „Erzähl uns alles! Wir sind dabei!“
„Sind wir das?“, nörgelte er, verdrehte die Augen und riss Dicy den Fusel aus der Hand.

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