The (Un)Wonted´s

Kapitel 32: Testo-Tango

Heimat des Fortschritts, Progressia

Unweit des Hafens kamen Eddy und Dicy vor einem Komplex zusammenfallender Lagerhäuser zum Stehen, zu denen Ralph sie führte, nachdem er ein paar motivierende Arschtritte und ruhigstellende Backpfeifen verabreicht bekommen hatte.
„Hier drin?“, wollte die Techie wissen.
„Ja, hundertprozentig!“
„Sicher?“, hakte der Supie nach.
„Definitiv. Seitdem diese Neandertaler bei mir eingebrochen sind, tracke ich ihre Implantate und Mikrochips.“
Die beiden antworteten überhaupt nichts mehr, sie wandten sich lediglich von dem eingeschüchterten Hacker ab und dem baufälligen Gebäude vor sich zu.
„Also dann, viel Erfolg! Man sieht sich“, verabschiedete er sich.
Fluchtartig drehte Wiesel-Ralph sich um und nahm die Beine in die Hand, nur um von Eddy am Kragen gepackt und hinter ihnen hergezogen zu werden.
„Mitgefangen, mitgehangen“, fügte Dicy trocken hinzu, während sie das Metalltor der Einfahrt auftrat.

Früher nutzte man diese Hallen, um … nun, jeder weiß, wofür man Lagerhallen benutzte. Jedoch wurde der Führungsetage der Unternehmen, den Firmenchefs und Konzernleitern recht schnell klar, dass sich ihre Produkte unten zwar kostengünstig produzieren, aber nicht mit zufriedenstellender Sicherheit lagern ließen. Denn da, wo es etwas von Wert gab, tummelten sich in der Regel auch ziemlich viele Diebe, Gauner und Ganoven.
Heute werden diese riesigen Depots von Vagabunden besetzt, zur Herstellung fragwürdiger Substanzen verwendet oder für Raves und Konzerte zu Großraumdiskotheken umfunktioniert. Kurz gesagt, die Allgemeinheit nahm sich zurück, was ihr zustand und machte daraus etwas Besseres. Etwas Schöneres.

Jedenfalls handelte es sich bei dieser Anlage, in welche unsere Helden gerade hereinspazierten, nur um die Unterkunft der Gang, nach der sie suchten. Zumindest vermuteten sie das, da Dicy’s Drogenradar stillstand und meilenweit keine Beats, Riffs oder Vocals zu hören waren. Außerdem würde man keinen Menschenhandel betreiben, wenn man seine Brötchen auch mit Dealen oder Livemusik verdienen konnte.
Zerfledderte Zelte wurden im Kreis aufgestellt und zeugten von den ärmlichen Verhältnissen ihrer Bewohner. Überall lagen Scherben, welche eine Kombination aus den zerstörten Dachfenstern und zahlreichen Schnapsflaschen waren. Und zwischen alldem glimmte eine Feuertonne, auf der ein Totenkopf mit Irokesen gemalt war.

„Die sind noch hier“, bemerkte Dicy, welche mit ihren mechanischen Adleraugen unaufhörlich den Raum scannte.
„Yep!“, bestätigte Eddy, der gegen die Tonne trat, sodass die Funken, des einst wärmenden Feuers, sprühten.
„Ich würde mich jetzt wirklich gern vom Acker machen, bevor …“, flehte der Schmuggler erneut.
„Na, wenn das nicht unser Ralph ist!“, unterbrach ihn eine fremde Stimme, welche in der Dunkelheit und hinter Gott weiß, welcher dieser hunderten Säulen verborgen war. „Und du hast sogar Freunde mitgebracht! Wie aufmerksam von dir.“
Es dauerte keine weitere Sekunde, bis Dicy den Aufenthaltsort des Unbekannten ermittelte.
„Auf zwei Uhr, hinter dem Pfosten mit der Dartscheibe“, instruierte sie ihren Partner.
„Roger“, entgegnete er.
Dann schoss Eddy los, ließ einen kurzen, blendenden Lichtblitz von sich und befand sich keinen Wimpernschlag später vor dem Grundpfeiler. Mit einem präzisem, alles durchbohrendem Hieb schlug er direkt durch den steinernen Träger, packte die Person dahinter an der Gurgel und riss sie zu sich, wobei sie schmerzhaft den Zusammenbruch der Säule verursachte.

Nun hing der Fremde an Eddy’s Hand, zappelte an ihr herum und versuchte sich mit allen Mitteln aus dem festen Griff des Supies zu befreien. Er trat, er schlug und er stach sogar mit einem Messer zu, welches er an der Seite seines Stiefels versteckte. Doch nichts davon vermochte die dünne, wenn auch unverwüstliche Lichthülle seines Feindes zu durchdringen.
„Macht den Mistkerl kalt! Schnappt ihn …“, schrie er panisch, bevor Eddy fester zupackte und ihm damit die Luft abschnürte.
Plötzlich kamen zwei weitere Gestalten, bewaffnet mit Eisenrohren und Bolzenschneidern, aus ihren Verstecken und schlugen ebenfalls auf den Feind ihres Kompagnons ein. Die Angriffe, welche zuerst nur hoffnungslos und verzweifelt wirkten, stellten sich schnell als ausgeklügeltes Ablenkungsmanöver heraus. Denn das Messer des Fremden, der noch immer in Eddys Hand gefangen war, begann plötzlich rot zu glühen.

„Pass auf, du Idiot!“, warnte Dicy lautstark.
Gerade rechtzeitig gelang es Eddy, seinen Kopf nach links zu neigen, um seinem Auge eine unangenehme Bekanntschaft mit der extrem heißen, ultrahochfrequenten Vibrationsklinge zu ersparen. So zog er sich lediglich eine oberflächliche Schnittwunde zu, aus der sogleich Blut trat und an seiner Wange runterlief.
„Sei bloß vorsichtig, das ist Militärtechnologie. Das muss hier vergessen worden sein, als sich die Obrigkeit verpisst hat“, erklärte sie zusätzlich.
„Mh-mh“, stimmte er ihr zu, während er zwei weiteren Stichen auf Augenhöhe auswich, indem er zur Seite wegduckte.
Dann wurde es ihm zu bunt und er konzentrierte seine Aura im Zeigefinger. Dieser leuchtete anschließend unsagbar hell auf und war problemlos dazu in der Lage, die folgenden Attacken der Klinge abzuwehren.

„Was fällt dir ein, so grob mit meinen Jungs umzugehen?“, brüllte eine unfassbar maskuline, doch zeitgleich weibliche Stimme vom Dach des Gebäudes.
Mit einem Satz sprang sie neben Eddy und griff nach seinem Handgelenk, an dessen Ende sein Kontrahent baumelte.
„Loslassen. Sofort!“
Nun erkannten unsere Protagonisten den Muskelberg, um welchen es sich bei dem neuen Mitspieler handelte. Er überragte Eddy um drei, nein, vier Köpfe, war ungefähr doppelt so breit und sah aus, als hätte man jemanden in einen Muscle-Suit gesteckt. Bloß das diese Person keinen Anzug trug.
„Und du musst dann wohl Schädelspalter sein, was?“, fragte Eddy gelassen.
„Schädelspalterin, du unsensibles Arschloch!“
Auf den zweiten Blick erkannten sie, dass der Schwarzenegger-Verschnitt tatsächlich eine Frau war. Sie hatte lange, dunkle Haare, trug einen blauen Sport-BH, einen türkisgrünen Tennisrock und Laufschuhe, die vor langer Zeit einmal weiß waren.

„Ich sagte loslassen. Nochmal wiederhole ich mich nicht!“, drohte Schädelspalterin
Sie übte mehr Druck auf das Handgelenk aus und hätte es vermutlich jeden Moment brechen können.
Eddy hingegen ignorierte die Warnung, oder, besser gesagt, bekam er sie überhaupt nicht mit. Er war in den unvergleichlichen Muskeln seiner Gegnerin verloren. Ihre Oberschenkel waren so breit, wie sein gesamter Oberkörper, ihr Eightpack konnte wahrscheinlich den Raketen eines Raumkreuzers standhalten und ihr Bizeps … hatte einen eigenen Bizeps.
Dieser kam nun mit abnormer Geschwindigkeit auf sein Gesicht zu, nachdem sie ihre Drohung wahrgemacht hatte. Mit einem gewaltigen Schlag hämmerte sie ihn mehrere Meter zurück.
„Alles klar, Ed?“, sorgte Dicy sich.
„Klar. Jetzt bin ich wach.“
Er schüttelte sich, spuckte Blut aus und knackte mit dem Genick und den Fingerknöcheln, während er sie zu einer Faust ballte.

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, begann ein erbitterter Nahkampf. Unzählige Male trafen sich die Fäuste von Edward und Schädelspalterin, sodass der Boden um sie herum bebte. Die Erschütterungen waren so stark, dass die Glasscherben zu schweben begannen. Mit jedem aufeinander getroffenen Hieb, sanken die Kämpfenden ein wenig tiefer in den Boden, welcher der Macht der Beiden nicht standhielt. Die Schläge wurden stärker, schneller und heftiger und dann … waren sie weg. Kurzzeitig tauchten sie auf der oberen Etage auf, verschwanden aber sofort wieder. Dann konnte man ihre Silhouetten hinter dem zerstörten Glasdach, vor dem künstlichen, inzwischen aufgegangenem Vollmond erkennen.
„Eddy!“, schrie Dicy in die Luft. „Lass sie ganz, ich hab noch ein paar Fragen!“
Urplötzlich stoppte der Kampf und beide Kontrahenten landeten bei ihren Verbündeten. Der Eine weitestgehend unversehrt, die Andere von Blutergüssen, blauen Flecken, verformten Gliedern und geschwollenen Wunden gezeichnet.

„Was wollt ihr von uns, hä?“, rief ihnen Schädelspalterin schmerzverzerrt zu.
„Ja, echt mal! Was wollt ihr von uns Bros, hä?“ äffte Schädelboy 1 nach.
„Wenn unser Bro ernst macht, war’s das für euch! Also legt euch lieber nicht mit Bro an, verstanden?“, ließ sie Schädelboy 2 wissen.
„Zeig’s ihnen, Bro. Verpass ihnen ‘ne brotale Abreibung!“ feuerte Schädelboy 3 an.
„Ich bin nicht euer Bro, verdammt nochmal!“, regte sich die muskulöse Frau auf. „Wenn überhaupt bin ich eure Sis!“
„Nee, du bist unser Bro!“, legten die Schädelboys kopfschüttelnd fest.

„Was treiben die denn da?“, wunderte sich Dicy.
„Frag mich doch nicht“, antwortete Eddy schulterzuckend.
Mittlerweile steckten die drei Handlanger die Köpfe zusammen und schmiedeten irgendwelche Pläne, während ihre Chefin um sie herum tingelte.
„Okay, wir ham’s!“, verkündete Schädelboy 1
„Wir wären damit einverstanden, wenn du unser Dude bist!“, fügten die anderen Beiden hinzu.
Auf Schädelspalterins Stirn schien eine Ader zu explodieren, kurz bevor sie alle drei in einen einzigen Schwitzkasten nahm und nacheinander ihre hohlen Schädel zwirbelte.
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor“, bemerkte Eddy, traute sich aber nicht nach links, in das Gesicht seiner Partnerin zu schauen.
„Jetzt reicht es aber mal!“, brüllte Dicy und stiefelte den Vieren entgegen. „Wir wollen verdammt nochmal wissen, was ihr mit unseren Körpern angestellt habt!“
Schlagartig stoppten sie ihre Kampeleien und hörten der erzürnten Techie zu.
„Na erzählt schon! Oder sollen wir euch nochmal den Arsch versohlen?“

Einige Sekunden passierte nichts. Dann warf Schädelspalterin ihren schweißnassen, verängstigten Pappnasen einen fragenden Blick zu, welcher sich kurz darauf in eine wütende Fratze verwandelte.
„Ihr habt doch nicht etwa …“
„Es tut uns so leid, wirklich!“, brach es aus den Schädelboys. „Da kam dieser Geschäftstyp im Anzug und bot uns diese irre Summe Credits für einen kinderleichten Job an. Wir hatten doch so großen Hunger, wir … wir …“
Sie konnten nicht weiterreden, da sie Rotz und Wasser heulten und aus dem Schniefen gar nicht mehr rauskamen. Doch für Schädelspalterin waren das genug Informationen, sie ahnte bereits, was geschehen war.
„Wir bitten aufrichtig um Verzeihung!“, bettelte sie und ging dabei sogar auf die Knie. „Natürlich können wir unsere Tat nicht ungeschehen machen und es gibt keine Worte, die ansatzweise das geradebiegen könnten, was diese Idioten … was wir verbrochen haben. Ich hoffe einfach …“

Da ihre Entschuldigung noch eine ganze Weile anhalten sollte, trat Eddy unterdessen an die Seite von Dicy, die genervt die Arme verschränkte und ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippte.
„Was hast du jetzt mit ihnen vor? Sie wirken nicht wie schlechte Leute“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Zumindest nicht schlimmer als der Rest, den man hier unten kennenlernt“, fügte er nach einer kurzen Überlegung hinzu.
„Ich denke, ich habe da schon eine Idee“, murmelte sie gedankenverloren zurück.

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