The (Un)Wonted´s

Kapitel 12: Auf dem Holzweg

Das Abenteuerkönigreich Fantasia

Obwohl der Wald des Elfenreichs nahezu grenzenlos war und für Fremde ein schier unüberwindbares Labyrinth darstellte, gab es eine denkbar einfache Methode, die Hauptstadt zu erreichen. Sie lag am Fuße Yggdrasils, dem Weltenbaum, schlängelte sich einmal um ihn herum und reichte sowohl mehrere hundert Meter an ihm hinauf als auch herab. Der einfachste und offensichtlichste Weg war daher, eine der gewaltigen Wurzeln des Baumes zu finden und ihr bis zum Zentrum zu folgen. Dies erkannten natürlich auch die Elfen und daher nutzten sie die hölzernen Straßen bereits seit Äonen als Orientierungspunkte und Handelswege. Und auf einer dieser Wurzeln wandelten gerade unsere drei Helden.

„Ich versteh’ immer noch nicht, wie eine so schöne Frau mit jemandem wie dir verwandt sein kann“, wunderte sich Eddy.
„Wie bitte?“
„Und noch dazu ist sie so eine talentierte Magierin! Davon kannst du dir echt ‘ne Scheibe abschneiden, V.“
„Heute habt ihr es wohl auf mich abgesehen, was?“
„Muss am Schlafmangel liegen“, antwortete Dicy schulterzuckend.
„Ihr habt doch die halbe Nacht vor euch hin geschnarcht! Ich war derjenige, der kein Auge zugemacht hat!“
„Dann wird’s wohl die Wahrheit sein.“
„Bestimmt, haha!“, kicherte Eddy.
„Arschgeigen“, murmelte V.

Überraschenderweise waren sie näher an Elfheim dran, als sie zuerst annahmen. Bereits wenige Stunden, nachdem sie aufgebrochen waren, war am Horizont die riesige Mauer der Stadt zu erkennen. Lange vor den Toren nahm das Gewusel von Händlern, Karawanen, Wachen und Abenteurern zu. Unter ihnen waren natürlich nicht nur Elfen, sondern auch Zwerge, Orks, Gnome und sogar Zentauren und andere Tiermenschen. Eine ellenlange Schlange machte ihnen deutlich, dass sie es hier mit den Kontrollen ernst nahmen.
Nach einer Weile des geduldigen Wartens meldete sich Robb zu Wort.
„Analyse der Lieferware abgeschlossen, Wuff. Bereit für den Bericht, Wuff?“
„Hast du uns was zu sagen, Dicy?“, meckerte V.
„Was denn? Glaubst du, ich liefer’ hier Zeug von A nach B, ohne zu checken, worum es sich dabei überhaupt handelt?“
„Schaden kann es nicht, da hat sie schon recht“, argumentierte Eddy.
„Ich fände es einfach schön, wenn du so etwas vorher mit uns absprichst.“
„Ja-ja, Herr Gildenmeister“, provozierte sie mit rollenden Augen. „Schieß los, Robb, was hast du für uns?“

„In der Schatulle ist eine Art Datenchip, Wuff. Wird aktiviert, sobald Kontakt mit einer K.I. zustande kommt, Wuff. Die Daten ähneln einem Virus, der den Empfänger korrumpieren soll, Wuff“, kläffte Robb.
„Korrumpieren?“
„Zu 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit möchte der Erschaffer des Virus dem Empfänger seinen Willen aufdrücken, Wuff.“
„Wie bitte?“, stutzte V.
„Wozu denn das?“
„Jemand möchte diesen M wohl gefügig machen, Eddy, ihn in ein Werkzeug verwandeln“, erklärte Dicy.
„Wie grausam!“
„Grausam, aber effektiv. Egal wie fortgeschritten die K.I.‘s sein mögen, am Ende des Tages sind sie ein Programm, ein Konstrukt aus Daten. Wenn diese nach gewissen Vorstellungen angepasst werden, kann man alles Mögliche mit ihnen anstellen.“
„Schrecklich.“
„Und es bringt uns kein Stück weiter.“
„Was hattest du dir denn erhofft, Dicy?“, fragte V.
„Keine Ahnung, irgendetwas über unseren schüchternen Auftraggeber. Wozu all die Geheimnistuerei und was er damit bezweckt, solche Sachen halt.“
„Wahrscheinlich führt er nichts Gutes im Schilde, soviel ist klar“, bestätigte Eddy.

Während die Drei über ihre neusten Erkenntnisse diskutierten, wurde die Reisegemeinschaft vor ihnen gerade durchgewunken. Nun waren sie an der Reihe.
Eine von drei Wachen näherte sich Dicy, Eddy und V, die anderen Beiden verblieben auf ihrem Posten links und rechts neben dem Tor. Über ihnen behielten zwei Bogenschützen, von ihren Wachtürmen aus, alles im Blick.
„Guten Tag, was führt euch nach Elfheim, Fremde?“, grüßte der schnurrbärtige Wachmann.
„Wir sind eine Gilde und auf offizieller Mission“, entgegnete Dicy.
„Papiere?“, fuhr der Mann die Kontrolle fort, ohne dabei sein fragendes Gesicht zu verbergen.
Offensichtlich wunderte ihn die kuriose Zusammenstellung dieser Gilde, doch es kümmerte ihn nicht genug, genauer nachzuhaken.
„Hier“, sagte V und hielt ihm die Dokumente hin, welche sie vom Boten des Amtes erhalten hatten.
Er musterte sie von oben bis unten und blickte dann vom Papier auf.
„Und die Ware?“
„Bitteschön!“, grinste Eddy aufgeregt und drückte ihm die Schatulle bereits in die Hände.
„Ich bin so frei.“
Die Wache öffnete daraufhin den Verschluss des Kästchens. Der Deckel schnippte auf und offenbarte für einen kleinen Moment den Datenchip im Inneren. Dicy schlug den Behälter blitzartig zu, riss ihn der Wache aus der Hand und drückte ihn mit beiden Händen fest an ihre Brust.
„Ganz schlechte Idee … öhm, sehr sensibel, sie verstehen sicher. Ähem … Sir.“

„Was dauert das denn so lange?“, rief ein genervter Händler, dem ein stattliches Geweih aus dem Kopf wuchs, weiter hinten in der Reihe.
„Was muss ein erfolgreicher Barde tun, um seiner Kehle endlich zu schenken, wonach es ihr begehrt“, jaulte ein Minnesänger, dessen Kleidung lediglich aus großen, bunten Federn bestand. Oder waren das seine Federn?
„Wann warst du jemals erfolgreich?“, feixte ein grauhaariger, einarmiger Troll-Söldner, dem zwei stattliche Hörner aus den Mundwinkeln wuchsen, von weiter vorn.
„Wie kannst du es …?“
Dann war nur noch das schmerzverzerrte Kreischen des Sängers und das Brechen seiner Laute zu vernehmen. Wenig später schien sich der Tumult in ein wahres Massenereignis zu entwickeln, nachdem nun auch benachbarte Wartende in den Konflikt hineingezogen wurden.

„Verdammt, nicht schon wieder“, brummte die Wache. „Geht schon rein! Und macht bloß keinen Ärger.“
Dann winkte er seine beiden Kollegen zu sich und verschwand in der Traube aus Menschen. Gerade als Dicy und die Anderen an den zur Hilfe eilenden Wachleuten vorbeiliefen und kurz davor waren, die Tore zu passieren, meldete sich Robb erneut zu Wort.
„Mit Analyse der Schmuggelware fortfahren, Wuff?“
Schlagartig blieben die Stadtwachen stehen und drehten sich um. Doch sie rannten nicht zurück, da die Auseinandersetzung vor ihnen weiter zu eskalieren drohte.
„Nehmt die Beine in die Hand, ihr Idioten!“, schrie Dicy und sprintete los.
Eddy und V folgten ihr, ohne zu zögern. Die beiden Soldaten waren wiederum gezwungen, ihren Kommandanten in der Meute zu unterstützen. Und so verschwanden unsere Helden schon bald in den Häuserschluchten und verbargen sich in den vielen Gassen dieser Stadt aus Holz. Auch wenn sie nicht verfolgt wurden, kannte man nun ihre Gesichter. Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese auf Fahndungsbriefen landen würden.

Elfheim war eine atemberaubend schöne Stadt. Ygdrasil, der Wald und die unfassbare Menge Mana, welche hier zusammenkam, lockten die unterschiedlichsten Arten an, die Fantasia zu bieten hatte. So lebten Pixe und Feen in den Blüten der meterhohen Blumen, die hier wuchsen. Vögel bauten ihre Nester in den Löchern und Kuhlen, die das natürlich wachsende Holz reichlich hergab und die Elfen lebten, im Gegensatz zu den Menschen, im Einklang mit der Natur. Sie fällten keine Bäume, um sich daraus ihre Häuser zu bauen, sondern passten sich die Bäume nach ihren Vorstellungen an. So dienten gewaltige Blätter als Dächer, verflochtene Lianen wurden zu Wänden oder Vorhängen umfunktioniert und prinzipiell wurden keine künstlich geschaffenen Materialien verwendet.

Vor vielen Jahrhunderten drohte eine riesige Dämonenarmee alles in ihrem Weg zu Asche zu verbrennen. Sie standen bereits vor den Toren der Stadt und die Elfen waren ihren erstarkten Feinden hilflos ausgesetzt. Eine alte Legende erzählte jedoch davon, wie ein einzelner Magier diese bösen Mächte mit ihren eigenen Waffen zurückschlug. Er ließ Feuer auf sie regnen und bezwang ihren General problemlos. Den Wald und all seine Bewohner ließ er dabei unversehrt. Später schloss er sich dem Kampf gegen den Dämonenkönig an und rettete die gesamte Welt vor dem sicheren Untergang.

Heute erinnerten sich nur noch die Wenigsten an diese dunkle Stunde der Vergangenheit und selbst Dämonen waren in dieser Zeit des Friedens in der Elfenhauptstadt willkommen. Zumindest die meisten.

„Fuck! Fuck, Fuck, Fuck, Fuck!“, brüllte Dicy immer wieder in sich hinein, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu verursachen.
„Wir sind drin. Lief doch gar nicht so schlecht.“
„Gar nicht so schlecht?“, zischte sie, nur wenige Millimeter vor Eddys Augen.
„Du verstehst nicht, in was für Probleme wir damit geraten.“
„Wie schlimm kann es schon werden, mh?“
„Man wird uns jagen, Kumpel. Auf unseren Kopf wird eine Belohnung ausgesetzt, verdammt!“
„Ein richtiges Kopfgeld? Affenstark!“
„Ich flipp’ aus.“
Dicy schüttelte den Kopf und warf ihre Arme kapitulierend in die Luft.
„Darum können wir uns später kümmern“, plante V. „Zuerst müssen wir uns mit diesem Bark treffen und die heiße Ware loswerden. Dann besuchen wir die königliche Bücherei und finden raus, wo sich dieses Manaleum befindet.“
„Na dann auf zum Lallenden Barden.“

„Warte, Eddy!“, setzte V fort. „Je schneller wir Elfheim … je schneller wir Fantasia verlassen, desto besser. Ihr zwei macht euch zum Gasthaus auf und führt die Übergabe durch. Ich statte der Bücherei einen Besuch ab, bevor sich die Neuigkeiten im Palast herumsprechen.“
„Wie finden wir uns wieder?“, warf Dicy in die Runde.
„Ich kann Eddys Ki spüren. Sobald ich fertig bin, finde ich euch. Haltet euch bis dahin einfach bedeckt, das sollte doch dein Spezialgebiet sein, nicht?“
„No Problemo, Chefo“, salutierte sie.

Sie klopfte Eddy auf die Schulter, drehte sich um und ging los.
„Moment, nicht so schnell, Leute!“
„Viel Glück“, sagte V
Mit diesen Worten warf er sich seine Kutte über und tauchte in den Schatten der Gassen unter. Eddy griff verunsichert nach dem längst verschwundenen V, in dem Versuch ihm von seinem Vorhaben abzuhalten.
„Sollten wir uns wirklich aufteilen?“, fragte er.
Doch eine Antwort blieb aus, da Dicy ihren Gefährten bereits zurückgelassen hatte und hinter einer Ecke abgebogen war.
„Warte doch mal!“, rief Eddy und lief ihr schnell hinterher.
„Weißt du denn überhaupt, wo wir lang müssen?“
„Nö …“
Er war gerade dabei sich aufzuplustern und lauthals „Was?“ zu schreien, als Dicy ihren Zeigefinger unterbrechend vor seine Lippen legte und weitersprach.
„… Das finden wir jetzt heraus.“

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