The (Un)Wonted´s

Kapitel 13: Lallende Barden

Das Abenteuerkönigreich Fantasia

Wenn man über Fantasia sprach, redete man in der Regel nur vom riesigen Kontinent und seinen vereinzelten Inseln. Der Rest des Planeten war jedoch von einem nahezu grenzenlosen Ozean bedeckt. In diesem lebten bunte, exotische Vielflößer, blutrünstige Seemonster und natürlich auch die abgeschotteten Fischmenschen. Sie bildeten eine ganz eigene Zivilisation am Grunde des Meeresbodens und das bereits seit Tausenden von Jahren. Nur wenige von Ihnen kamen an die Oberfläche und da sie mit Lungenatmern so wenig wie möglich zu tun haben wollten, wurde Kontakt zur Außenwelt hart bestraft. Doch hin und wieder traute sich trotzdem einer von Ihnen an Land.

Eddy und Dicy waren dabei herauszufinden, wo sich der Lallende Barde befand. Am einfachsten ginge dies, so dachte Dicy, indem sie nachfragte. Und zufälligerweise befand sich am Ende der Gasse, durch die sie bis eben schlichen, ein gut besuchter und noch besser bewachter Marktplatz.
Händler bauten ihre Buden auf, grüßten ankommende Reisende und verkauften ihre Waren an zahlreiche Kunden. Alles unter den wachsamen Augen der Wächter, die hier für Recht und Ordnung sorgten. Eben jene Augen, die soeben ihre neuen Befehle lasen.
„Shit! Das ging schnell.“
„Meinst du, die suchen etwa schon nach uns?“
„Sie haben Schmuggler auf frischer Tat ertappt und sie in ihre eigene Stadt entkommen lassen. Sie verbreiten zwar keine Panik unter der Bevölkerung, doch es gilt bestimmt höchste Alarmstufe.“
„Und wie sollen wir so herausfinden, wo der Lallende Barde ist?“
„Das zeig’ ich dir jetzt“, grinste sie.
Sie warf sich ihre Kapuze über und schlenderte seelenruhig auf den Markt.

Eine Karawane war gerade dabei, den Wachposten zu passieren. Kurz davor tauchte Dicy in der dazugehörigen Gruppe unter und lief direkt hinter einem breit gewachsenen Nilpferd-Menschen. Er trug einen weiten Mantel und kratzte sich gelegentlich den dicken Po. Sie tippte ihm auf die rechte Schulter. Er drehte seinen stämmigen Körper in die Richtung und blickte hinter sich. Dicy drehte sich mit und verbarg sich im toten Winkel des Tiermenschen. Sie schnappte sich den Geldbeutel aus seiner linken Jackentasche und zupfte extra offensichtlich an ihr herum. Hastig, aber nichtsdestotrotz träge, wandte sich das Wesen der Bewegung an seiner Tasche zu. Dies bot der geschickten Diebin mehr als genug Zeit, unter die Kutsche zu schlüpfen und sich an deren Boden festzukrallen. Dort verharrte sie, bis der Wagen das Zentrum des Marktplatzes erreichte.

Eddy entdeckte sie erneut, als sie auf der anderen Seite des Wagens wieder auftauchte. Zwei Wachen waren auf direktem Wege in ihre Richtung, nachdem ein Tiermensch sie über eine suspekte, quirlige Gestalt informierte. Sie verloren die Verdächtige aber aus den Augen, als sie durch eine Gruppe Männer stolperte. Die charmante Techie fiel einem von ihnen beinahe hilfsbedürftig in die Arme, lächelte ihm liebestrunken ins Gesicht und verschwand, bevor er sie in ein Gespräch verwickeln konnte. Während die Männer nach der jungen Frau befragt wurden, stand diese bereits vier Stände weiter und diskutierte mit einem Händler. Dicy legte den Geldbeutel des Nilpferd-Menschen auf den Tresen und schien zu bekommen, wonach sie verlangte. Eddy verlor sie, als eine weitere Kutsche für einen Moment zwischen den Beiden entlang fuhr und den Blickkontakt unterbrach.
Seine Augen suchten den ganzen Platz nach ihr ab, doch fanden sie nicht. Er erschrak, als plötzlich jemand einen Grillgemüsespieß vor seine Nase hielt.
„Auch einen?“, fragte Dicy trocken.
„Wie hast du …?“, stotterte er, nahm sich aber dennoch den Spieß.
„Ich weiß, wo wir hin müssen.“
„Woher kannst du …?“
„Kinderspiel.“

Da es nur eine Frage der Zeit war, bis sie von den Wachen entdeckt werden würden, eilten die Beiden ohne weitere Umwege zum Lallenden Barden. Der Trubel eines geschäftigen Arbeitstages bot ihnen glücklicherweise genügend Deckung, um das Gasthaus problemlos zu erreichen.
Vor dem Etablissement pinkelte ein sichtbar betrunkener Mann durch das Geländer und trällerte dabei leise vor sich hin.
„Everday Iam bu-u-u-uffing …“
Als er sich die Hose wieder hochzog, verlor er das Gleichgewicht, flog kopfüber von der Veranda und krachte voll auf seine Laute.
„Was war wohl zuerst da?“
„Mh?“
„Der Barde oder die Kneipe?“
„Ha, das solltest du denn Wirt fragen, Eddy.“

Drinnen angekommen, war für einen frühen Nachmittag recht viel los. Links vom Eingang spielten vier Zwerge Karten an einem Rundtisch. Weiter hinten betrank sich eine Gruppe Abenteurer, die wohl gerade von einem Auftrag zurückkamen und in ihren Erfolgen schwelgten.
„Und dann hab ich dem Typen einfach einen Pfeil ins Knie geschossen, hahaha!“, feixte ein Waldläufer, der an der Stirn der Tafel saß.
Abseits, in einer dunklen Ecke, nippte eine unerkennbare Gestalt an ihrem Becher. Am Tresen war genug Platz für Eddy und Dicy.
Letztere nickte der Frau hinter der Theke zu, hielt zwei Finger in die Luft und lehnte sich anschließend rückwärts an den Ausschank.    
„Also, was war zuerst …“, hörte sie noch, bevor sie damit begann, den Raum zu scannen.
Einen Moment später drehte sich Eddy mit zwei Bieren um und rückte ein Stück zu ihr.
„Was machst du da?“
„Ich analysiere die Lage. Check ab, ob Wachen da sind. Wer unsere Zielperson sein könnte. Sachen, die man macht, wenn man nicht zum Vergnügen hier ist.“
Sie sah ihm in die Augen, nahm sich ihr Bier und lächelte dabei schuld zuweisend.

Eddy nahm gelassen einen Schluck von seinem Bier.
„Also Bark ist der Haifisch-Mensch, der da hinten am Fenster sitzt und das Fass Bier in sich hineinschüttet.“
„Ach ja? Und woher …“
„Ich hab die nette Barfrau gefragt.“
„Macht Sinn, du lernst schnell.“
Die Beiden gingen langsam in die Richtung von Bark.
„Ich hätte schwören können, unsere Zielperson ist die unerkennbare Gestalt, die da hinten in der dunklen Ecke sitzt.“
„Tja, wer hätte das gedacht“, kicherte Eddy schulterzuckend.
„Ach übrigens, der Barde war zuerst da.“
Dicy blieb überrascht stehen und wandte sich Eddy zu.
„Kein Scheiß?“
„Kein Scheiß!“
„Man, seit wir hier sind, stimmt irgendwas mit meiner Intuition nicht.“
Dicy ging weiter.
„Liegt bestimmt daran, dass du dir Sorgen um V machst.“
Sie blieb erneut stehen, dieses Mal deutlich abrupter.
„Pah!“, stöhnte sie. „Der kommt schon locker ohne uns zurecht.“

Sie waren nur noch wenige Schritte vom Tisch des Fischmenschen entfernt.
„Überlass mir das Reden, Eddy.“
Er nickte.
Am Tisch angekommen, schauten die Zwei auf einen großen Rücken, der eine abgetragene Lederjacke trug. In sie war ein Schlitz gerissen, damit die halb abgeschnittene Rückenflosse hindurchpasste. Aus der Kapuze stach die, ebenfalls beinahe vollständig abgetrennte, Sägenase, welche so charakteristisch für Schwerthaie war.
„Bist du Bark?“
„Der bin ich“, antwortete eine tiefe Stimme.
„Fantastisch“, Dicy klatschte einmal in die Hände und ließ sie anschließend zusammengefaltet. „Wir sind nämlich deinetwegen hier.“
Sie setzte sich ihm gegenüber und legte die Arme auf den Tisch. Eddy nahm zwischen ihnen, am letzten freien Stuhl, Platz. Nun, da sie es sehen konnten, blickten sie in ein völlig vernarbtes Gesicht, indem scheinbar einzig sein rechtes Auge unversehrt blieb.

„Shit, was is’ denn mit dir passiert?“, schoss es unkontrolliert aus Dicy.
„Bark ist nicht sehr beliebt zu Hause. Bark ist nur Halbfischmensch. Deswegen ist Bark so klein“, begann der Fischmensch, welcher bestimmt doppelt so groß, wie Eddy war, traurig.
„Bark wurde schon immer verprügelt. Als Bark an die Oberfläche fliehen wollte, bestrafte man Bark und schickte ihn dennoch fort.“
„Daher die ganzen Narben, Bark? Tut mir wirklich leid“, tröstete Eddy.
„Ja. Außer die über Bark’s linkem Auge. Die ist vererbt“, lächelte er.
„Man kann doch keine Narben vererben, oder?“, wunderte sich Dicy.
„Diese schon. Bark hat sie von seinem Urahn. Er war Pirat und Retter der Tiermenschen. Er kämpfte sogar gegen den Dämonenkönig. Bark möchte auch Pirat werden.“
„Das hört sich ja großartig an, Bark! Ich drück’ dir die Daumen“, motivierte Eddy.
„Danke, Freund.“
Bark legte seine riesige Hand auf die Schulter von Eddy.

„Herzergreifend! Können wir dann jetzt zum Geschäftlichen kommen?“
„Können wir.“
Dicy legte die Schatulle hinter ihren Bierkrug, sodass sie vom Rest der Kneipe aus nicht zu sehen war und schob beides zusammen zu Bark.
„Danke, Freundin“, sagte er, nahm Dicys Bier und leerte es in einem Zug.
„Du grätiger Fischschädel!“, fluchte sie. „So war das nicht gedacht!“
„Bark macht seine Geschäfte niemals nüchtern“, rülpste er und ignorierte dabei das leere Fass neben ihm.
„Das ist die richtige Einstellung, Bark, so wirst du im Nullkommanichts ein wahrer Pirat sein!“, sprach Eddy.
„Danke.“
Ein weiteres Mal legte der sanfte Fischmensch seine Hand auf Eddys Schulter.

„Nimmst du jetzt bitte die verdammte Schatulle und steckst sie weg, bevor die ganze Stadt weiß, was wir hier treiben!“, zischte Dicy zähneknirschend.
Bark nahm sie lässig, verstaute sie in einer seiner Taschen und klopfte Eddy dann vorsichtig auf die Brust.
„Letztes Teil für Barks Schiff, weißt du? Danach kann Bark endlich in See stechen. Öhm, oder besser gesagt ins All?“
„Du willst Weltraumpirat werden?“, staunte Eddy.
„Bark hat genug vom Wasser. Bark wird erster Raumfreibeuter Fantasias!“
„Wunderbar! Wir wünschen dir viel Erfolg und ganz viel Glück. Bis bald mal wieder“, verabschiedete sich Dicy und zog dabei den über beide Ohren strahlenden Eddy hinter sich her.
Seine Augen glänzten und am liebsten wäre er direkt mit Bark in See, nein, in All gestochen.

Dicy und Eddy stiegen gerade über den bewusstlosen Musiker, der vor dem Gasthaus in einer Mischung aus Erbrochenem und den Kleinteilen seines Instrumentes seinen Rausch ausschlief. Sie klatschten zufrieden miteinander ab und wollten gerade ihre kommende Flucht aus der Stadt planen, als sich Robb mit einem weiteren Statusupdate zu Wort meldete.
„Analyse der Schmuggelware abgeschlossen, Wuff. Bereit für den Bericht, Wuff?“
„Klar, schieß los“, antwortete Dicy.
„Warte mal!“, unterbrach Eddy. „Wenn Robb die Schmuggelware analysiert hat, was haben wir dann Bark gegeben?“
Die Beiden starrten sich entgeistert in die Augen und sagten synchron:
„Fuck!”

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