The (Un)Wonted´s

Kapitel 19: Herzschmerz

Das Abenteuerkönigreich Fantasia

Wie bereits erwähnt, waren Dungeons ganz besondere Orte in Fantasia. Besonders gefährliche Orte, um ganz genau zu sein. Früher erforschten Spieler diese Höhlen, um ihre magischen Artefakte, Schätze und Reichtümer zu plündern. Ein weiterer wichtiger Faktor waren die überdurchschnittlich hohen Erfahrungspunkte, die man hier für das Erlegen von Monstern bekam. Punkte, die Spielfiguren benötigten, um stärker, schlauer und schneller zu werden.
Außerdem war die Gefahr früher deutlich geringer. Denn selbst wenn eine Gruppe scheiterte und den Bewohnern des Dungeons zum Opfer fiel, dann wurden sie einfach in der zuletzt besuchten Taverne wiederbelebt.

Heute wurden diese finsteren Gruften für Zivilisten geschlossen gehalten und nur wenige, todesmutige Schatzsucher betraten sie. Nicht zuletzt, da man nie mit Sicherheit sagen konnte, ob sie nicht schon längst leergeräumt wurden. Und selbst wenn doch, dann hatte das meist gute Gründe.
Zum einen waren die Tunnel, Gänge, Flure und Etagen neben blutrünstigen Monstern, auch von oben bis unten, mit tödlichen Fallen bestückt. Zum Anderen wartete vor der Schatzkammer in der Regel der Hüter des Dungeons, das sogenannte Bossmonster, welches gut und gerne mal dazu in der Lage war, ganze Armeen in einem Atemzug auszulöschen.

Während sich Dicy und V mit vereinten Kräften gegen unzählige heranrasende, lila Feuerbälle verteidigten, versuchte Eddy verzweifelt, die Wurzel des Weltenbaumes aus dem Eingang zum Drachenfriedhof zu zerren. Nora stand unterdessen zwischen den beiden Gruppen und klopfte gegen den hölzernen Schlauch, auf der Suche nach etwas, von dem scheinbar nur sie wusste.
„Ich brauche ein Sekündchen, meine Lieben“, sagte sie.
Dann blieb sie an Ort und Stelle stehen, faltete ihre Hände zusammen und begann mit leicht gesenktem Kopf etwas Unverständliches zu murmeln.
„Klar, kein Problem. Sonst noch was, vielleicht ’ne Pizza, oder so?“, stöhnte Dicy, deren Energieschild gerade den Geist aufgab.

Eine einzige Attacke von Matt zerstörte dutzende von V’s ätherischen Schilden und entzog ebenso viele Prozente von Robb’s Akku.
„Wir müssen zurückschlagen!“, schlug V vor. „Wenn wir uns nur verteidigen, machen wir es nicht mehr lang.“
„Shit, okay!“, willigte Dicy ein. „Eddy, los geht’s, wir sind dran.“
Schlagartig hüllte sich der Supie gänzlich in ein flackerndes, schwaches Licht und eilte seinen Freunden zur Hilfe. Gleichzeitig schoss Dicy eines ihrer Explosionsgeschosse auf Matt, welches bei Kontakt hochging und ihn in einer Rauchwolke verbarg. Oder verbarg sie viel mehr die (Un)Wonted’s?

So oder so sprangen die Drei einen Moment später aus dem Rauch und griffen den überraschten Dämon an.
V materialisierte seinen Kampfstab und verdichtete das Mana in dessen Klinge weiter und weiter, bis er in der Lage dazu war, durch Stahl zu schneiden.
Die Spitze von Dicy’s metallenem Flügel war, so, wie ihre rechte Hand, in ihr Schild gehüllt. In einem Affenzahn rauschte sie ihrem Kontrahenten entgegen und schlug nicht nur von vorn, sondern auch von oben zu.
Eddy hingegen konzentrierte seine gesamte Macht erst auf beide Beine, um mit dem Tempo seiner Kumpanen mithalten zu können. Dann sprang er in die Luft, sammelte seine komplette Kraft in den Füßen und warf Matt einen verheerenden Dropkick entgegen.

Jedenfalls war Matt von alldem völlig unbeeindruckt. Mit seiner linken Armschiene stoppte er die Klinge von V’s Stab. Dicy’s Schlägen schenkte er überhaupt keine Beachtung. Eddy’s Tritt wollte er eigentlich in der Luft fangen, allerdings vergaß er blöderweise, dass er in dieser Hand noch immer den Kriminellen hinter sich herzog, den er in Eastwood gefangen nahm. Letzten Endes blockte der bewusstlose, jetzt möglicherweise auch leblose, Körper dieser armen Wurst den Angriff. Nicht, dass er Matt etwas ausgemacht hätte.
„Wozu Freunde haben, wenn sie einen ohnehin nur verletzen?“, flüsterte er betrübt.
„Wir sind keine verdammten …“
„Nicht aufhören, macht weiter!“, befahl V.

Ohne zu zögern begannen sie Matt mit einer weiteren Angriffsserie zu bearbeiten.
Eddy, der nach seinem Tritt langsam zu Boden sank, fing sich  mit beiden Armen ab und drückte sich erneut nach oben. Wie eine aufsteigende Rakete schossen seine beiden Füße erneut in die Richtung seines Gegners.
Dicy’s Antriebsdüsen feuerten erneut aus allen Rohren, beschleunigten auf Mach 1 und ließen einen Fausthagel auf Matt regnen.
V lenkte das gesamte Mana seines Stabs einzig und allein auf die Spitze seiner Klinge. Er holte weit aus und versuchte ihn mit einem gewaltigen Speerstoß zu durchbohren.

Doch dieses Mal tat Matt rein gar nichts. Fast nichts. Eine unvorstellbare Energie, die plötzlich auf Dicy und die Anderen wirkte, unterbrach sie in ihren Aktionen. Es war, als würde die Schwerkraft über ihnen viele Male stärker werden. Chancenlos wurden sie von ihr nicht nur zu Boden gedrückt, sondern sogar ein Stück in ihn hinein. Matt ging in die Hocke und schaute in die Augen der blonden Schönheit, welche vor ihm lag.
„Warum lieben, wenn es doch am meisten schmerzt, mh?“,
Dabei streichelte er ihr sanft über die Wange, obwohl sie es sich natürlich nicht gefallen ließ.
„Fuck, was ist eigentlich falsch mit dir? Nimmst du Steroide, oder so?“, zischte ihm Dicy entgegen, die versuchte ihm in die Finger zu beißen.
„Wenn ihr es unbedingt wissen wollt, dann erzähle ich euch meine Geschichte, bevor ich eure beende.“

Dann erzählte Matt ihnen ungefragt seine unglaublich lange, überraschend interessante Hintergrundgeschichte, für die es an dieser Stelle für einen Nebencharakter, wie ihn, eigentlich keinen Platz gab. Er sprach davon, wie schwer er es als jüngster Sohn des Dämonenkönigs hatte, noch dazu mit einer menschlichen Mutter. Wie es war, weder von den Menschen noch von den Dämonen akzeptiert zu werden. Für die Einen zu anders, zu gefährlich, zu fremd und für die Anderen zu gnädig, liebevoll und mitfühlend. Und dann erklärte er ihnen, wie er es dennoch zu etwas brachte, wie er langsam aber sicher lernte, das Leben zu schätzen und zu lieben, in all seinen Facetten.
Man bekam fast den Eindruck, er tat all dies, weil er wusste, dass sie ihn eine gewisse Zeit lang beschäftigen mussten. Doch schließlich kam er zum Ende seiner Geschichte.
„Vielleicht versteht ihr jetzt, wieso ich bin, wie …“
„Ich bin so weit, die Tür ist offen!“, schrie Nora.

Für den Bruchteil einer Sekunde lenkte der Ruf Matt ab und veranlasste ihn, nach oben zu schauen. Als er zurück nach unten blickte, war niemand mehr da.
V nutzte die auf ihn wirkende Macht für sich selbst und erschuf damit ein Portal, welches ausreichen würde, um ihn sowie Dicy und Eddy zu transportieren. Er positionierte es unter den Dreien, sodass sie einfach hineingedrückt werden sollten, sobald es aktiviert wurde. Und dies geschah genau dann, als Matt abgelenkt war.
„Was zum …?“, fluchte er.
„Hau rein, Loser!“, verabschiedete sich die Techie, den Mittelfinger nach vorn zeigend.
Rasend vor Wut stürmte der Dämon seinen Gegnern hinterher und holte bereits im Sprint zu einem weiten Hieb aus. Genau dann, als er zuschlug, schloss sich eine hölzerne Tür und versperrte ihm seinen Weg.

Die Erschütterung seines Angriffs spürten die Vier noch im Inneren der Wurzel. Jeder normale Baum wäre sofort in tausend Teile gesprengt worden, Yggdrasil, mit all dem Mana in jeder seiner Fasern, war allerdings nahezu unzerstörbar.
„Ich werde euch bis an das Ende aller Tage jagen! Ihr könnt euch verstecken, aber ihr werdet mir nicht entkommen! Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Merkt euch meine Worte!“, hörten sie Matt von außerhalb wüten.
Nach ein paar weiteren zornigen Schlägen und einigen Beleidigungen wurde es dann langsam still.
„Na bitte“, begann Dicy selbstzufrieden und klopfte sich dabei den Dreck von den Klamotten. „Den sind wir erst mal …“
Sie wurde von V unterbrochen, der mittlerweile auf allen Vieren hockte, sich die Seele aus dem Leib kotzte, dabei wie Espenlaub zitterte und kreidebleich war.

Die Manämie war eine weitverbreitete Krankheit unter den Magiern Fantasias. Ähnlich zur Blutarmut konnte sie den Körper schneller an seine Belastungsgrenze führen, Atemnot und erhebliche Ermüdungen verursachen oder heftige Kopfschmerzen, welche für Zauberer denkbar schlecht waren, bewirken. Wenn sie länger unbehandelt blieb, stand nicht nur der permanente Verlust der eigenen Magie auf dem Spiel, sondern das Leben des Patienten.
Wenn man nun aufgrund eines mächtigen Zaubers plötzlich in Manaarmut verfiel, kamen noch weitere Nebenwirkungen hinzu. Diese konnten in ihrer Schwere variieren und ähnelten den Symptomen, die ein Abhängigkeitskranker bei einem kalten Entzug durchmachte.
Jedenfalls befand sich V aktuell in diesem Zustand, weil er ein Portal erschuf, welches groß genug war, alle Drei zu transportieren. Eine Leistung, die ohne die unfreiwillige Beihilfe Matts nicht möglich gewesen wäre. Nichtsdestotrotz war das Mana, welches für einen derart großen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum nötig war, immens.

Während sich Nora also mütterlich um V kümmerte, ihn mit einem der mitgebrachten Manatränke versorgte und zärtlich seinen Rücken streichelte, berieten sich Eddy und Dicy bereits über ihre nächsten Schritte.
„Komisch, dass es in diesem Tunnel gar nicht dunkel ist“, bemerkte Eddy.
„Muss wieder an diesem Baum liegen“, antwortete sie.
„Und warum warst du so fies zu Matt? Er hatte es scheinbar nicht leicht.“
„Ich hatte es auch nicht leicht, deswegen lauf’ ich nicht durch die Gegend und …“
„Und klaust, betrügst und lügst?“
„Das ist ja wohl was anderes, als Personen zu jagen und sich dafür bezahlen zu lassen!“, verteidigte sie sich und verschränkte ertappt die Arme vor ihrem Körper. „Ähem, wie sieht’s aus, V, startklar?“

„Ich bräuchte … noch ein … vielleicht zwei … Minütchen“, entgegnete er würgend.
„Und ich mache mir ehrlich gesagt etwas Sorgen um die Drachen, die da unten vielleicht auf uns warten.“
„Jetz’ mach dir mal nicht gleich in die Hose, Eddy! Wir sind auf dem Weg zum Drachenfriedhof!“
„Deswegen ja!“
„F-R-I-E-D-H-O-F! Meinst du nicht, dass die alle tot sein müssten?“
„Vielleicht gibt es ja untote Drachen! Oder welche, die nur aus Knochen und Skeletten bestehen.“
„Jetzt geht die Fantasie mit dir durch.“
„Wir sind hier ja auch in Fantasia!“, argumentierte er.
„Locker bleiben, wird schon schiefgehen“, beendete sie das Gespräch … und das Kapitel.

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