The (Un)Wonted´s

Kapitel 21: Bossraum

Das Abenteuerkönigreich Fantasia

Im Universum gab es Organismen, welche die Vorstellungskraft eines Sterblichen bei Weitem übertrafen. Mit einem Fingerschnippen konnten sie ganze Galaxien auslöschen und im gleichen Atemzug eine Neue erschaffen. Überlegene Wesen, die so mächtig waren, dass man das Ausmaß ihrer Kräfte gar nicht in Worte fassen konnte. Einige von Ihnen waren so alt, wie das Leben selbst. Andere entstanden einfach so, aus einer Laune des Schicksals oder einer glücklichen Zusammenfügung unzähliger Zufälle. So oder so war es den niederen Lebensformen nicht möglich, mit ihnen zu interagieren. Zumindest nicht wissentlich.

Da man nicht wusste und unmöglich sagen konnte, wo sie lebten, was sie machten und wieso sie etwas taten, wenn sie denn etwas taten, einigte man sich darauf, nicht weiter nachzuforschen. Die Gefahr, eine von Ihnen zu verärgern, war einfach zu groß. Man gab Ihnen lediglich einen Namen, die Existenzen.

Ihr fragt euch sicher, woher man dann überhaupt von diesen Individuen wusste. Nun, eine einzige Existenz war den Sterblichen bekannt und von ihr erhielten sie das wenige Wissen, dass sie über sie hatten. Doch darauf komme ich an einem späteren Zeitpunkt zurück.

Von den aufgezogenen Sturmböen überrascht, stürzten unsere Helden noch immer in die Tiefen des Drachenfriedhofs. Eddy schrie und kreischte, wie ein kleines Mädchen, während er alle Viere von sich streckte und wild umher zappelte, in dem Versuch einen Vogel zu imitieren. Im Gegensatz dazu wirkten Dicy und V nahezu tiefenentspannt. Sie fielen direkt neben ihrem panischen Kompagnon in denselben Abgrund, schauten sich dieses Spektakel allerdings schadenfroh und bestens unterhalten an.
„Hilfe! Jetzt macht doch bitte endlich etwas!“, flehte der Supie. „Ich bin zu jung zum Sterben!“
Kopfschüttelnd und leicht schmunzelnd erbarmten sich die Beiden ihrem Freund aus der Patsche zu helfen. Dicy startete ihr Jetpack und V beschwor sein Board. Kurz darauf flogen sie zu Eddy, griffen ihm unter die Arme, im wahrsten Sinne des Wortes und brachten ihn unbeschadet zum Grund des Kraters.

Unten angekommen war es stockfinster, kalt, unbehaglich und irgendwie gruselig. Als würde man auf dem nächtlichen Heimweg verfolgt oder beobachtet werden. Eddy, der auf den Knien kauerte und sein Nahtoderlebnis noch verdauen musste, fühlte etwas Stabförmiges unter seinen Händen. Und nicht nur einmal, sondern unzählige Male, in verschiedensten Größen und Formen.
„Robb, schmeiß die Funzel an!“, befahl die Hundemama.
Gesagt, getan. Ein mechanisches Blinzeln später wurde die Umgebung taghell erleuchtet. Leider. Denn nun erkannten sie, dass sie in einem Meer aus Knochen und Überresten standen. Meterhohe Haufen reihten sich aneinander, massive Gelenke und ellenlange Wirbel, wohin das Auge sah.
„Keine Panik! Nur ein Friedhof, wie erwartet“, beruhigte V.

Plötzlich fingen einige Gebeine an zu vibrieren. Erst die Kleinen, welche vielleicht einmal Klauen waren. Kurz darauf die Arme, Beine, Teile eines Schweifs und ein Gerippe, das mit viel Fantasie mal ein Flügel gewesen sein konnte. Dann bebte plötzlich der Boden unter den Füßen der (Un)Wonted’s. Etwas stieg in die Höhe, wackelte wie verrückt und warf sie schließlich sogar von sich.
Ein gewaltiger Schädel schwebte zu dem Konstrukt, welches sich in der Zwischenzeit vor ihnen gebildet hatte. Glauben konnten sie es zwar nicht, aber jedem war klar, was sich da gerade vor ihnen befand. Und was es für sie bedeutete.
„Ein Skelettdrache …“, murmelte V fassungslos.
„Ich hab’s euch doch gesagt! Aber nein, ihr …!“
„Scheiße, Eddy, wir haben jetzt deutlich größere Probleme!“, unterbrach Dicy mit zitternder Stimme.
„Kämpfen wir? Oder machen wir uns vom Acker?“, erkundigte sich der tapfere und naive Held.
„Was ist das denn für ‘ne beknackte Frage?“, antworteten seine Gefährten synchron. „Lauf!“

Sie sprinteten so schnell sie konnten von dem Ungetüm davon. Doch es brachte rein gar nichts. Es sprang mit einem Satz vor seine Beute und schlug mit seiner Pranke zu.
„Eddy, pass auf!“, warnte Dicy.
Daraufhin hielt er schützend beide Arme vor seinen Körper und hüllte sie in das hellste Licht, dass er je von sich gegeben hatte. Außerdem erschuf V eine handvoll Barrieren, welche zusätzlich durch Robbs Energieschild verstärkt wurden. Problemlos durchbrach der Drache all die Verteidigungen und hämmerte Eddy durch zig Knochenhaufen.

Einen Augenblick später peitschte die knöcherne Schwanzspitze des Biestes nach vorn und drohte die Brust des Fancies zu durchbohren. In letzter Sekunde gelang es ihm, seine Position mit einem beschworenen Stein zu tauschen, den er vorher in Dicys Tasche platzierte und somit schlagartig neben ihr auftauchte.
„Hau ab! Wir sollten uns trennen und nicht …“
Sie wurde vom herab preschenden Vorderbein des Monstrums unterbrochen. Einzig Dicys mechanischem Arm und ihren kybernetischen Modifikationen war es zu verdanken, dass sie noch nicht den sicheren Zerquetschungstod starben. Doch eben jene schienen gerade ihr Limit zu erreichen. Sie ging auf die Knie und war kurz davor zusammenzubrechen, als V seinen Stab herbeirief und ihn als unterstützende, tragende Säule zwischen Klaue und Boden rammte.

Wie eine Katze, die mit einer Maus spielte, so spielte der Drache mit unseren Protagonisten, bevor er sie auffraß. Mal übte er mehr Druck auf sie aus, mal weniger. Dann senkte er seinen Kopf und starrte sie mit seinen leeren, toten Augen an. Nicht, dass er noch welche gehabt hätte. Zwischenzeitlich wirkte es, als würde er ihnen sogar hämisch ins Gesicht grinsen.
Irgendwann entschloss er sich, dieses Spielchen zu beenden. Er riss sein Maul auf und versuchte, sie in einem Happen zu verschlingen. Und sie konnten nichts dagegen tun. Sie hatten lediglich die Wahl, von ihm zerquetscht oder gefressen zu werden. Zumindest wenn da nicht noch ein gewisser Supie gewesen wäre, der auch noch ein Wörtchen mitzureden hatte.

In einem Affenzahn kam Eddy herangerauscht und befand sich neben Dicy und V, bevor sie oder der Drache es überhaupt bemerkten. Ohne anzuhalten, heizte er an ihnen vorbei und zog die beiden hinter sich her. Bevor die Pranke auf den Boden krachte, waren die drei schon meterweit weg und konnten endlich durchatmen.
„Wurde ja auch allerhöchste …“
Die Techie wurde vom Blut hustenden Eddy unterbrochen, der sich kommentarlos einen äußerst langen und scheinbar rasiermesserscharfen Knochen aus der Magen- und Nierengegend zog.
„Alles klar bei dir?“, fragte V. „Hast schon besser ausgesehen.“
„Nur ‘ne Fleischwunde. Ging mir nie besser“, entgegnete er saucool.
Dann sprühte Robb ein kühlendes, desinfizierendes und Blutung stillendes Spray auf die Wunde, was Eddy erneut wie ein kleines Mädchen schreien ließ.
„Ah! Das zwickt.“ heulte er.
„Was machen wir jetzt? Wir brauchen dringend einen …“

Das Schmieden ihres Planes wurde von einem kometenartigen Einschlag im Keim erstickt. Beim Aufprall wirbelte derartig viel Staub und Dreck auf, dass man minutenlang überhaupt nichts mehr sehen konnte. Knochen und Steine flogen wie Geschosse auf Dicy und die Anderen zu, welche hinter V’s Schilden Deckung suchten. Nachdem sich die Staubwolken gelegt hatten, trauten sie ihren Augen nicht. Sie wünschten sich, niemals in diese verfluchte Höhle gegangen zu sein. Und ihnen wurde eine Sache ganz klar. Hier und heute sollte ihr Leben ein Ende finden.

Dort, wo bis eben noch ein riesiger Skelettdrache stand, befand sich nun ein noch viel größeres Exemplar. Dieses besaß im Gegensatz zu seinem untoten Vorgänger allerdings noch Fleisch, Schuppen, Organe und all das andere Zeug, was einen lebenden Drachen ausmachte. Gegen ihn wirkte ihr vorheriger Feind, wie ein Welpe, ein Jungtier, dass seine ersten Schritte auf dieser Welt tat. Er öffnete langsam sein Maul und die (Un)Wonted’s sahen bereits ihr Leben an sich vorbeiziehen. Doch anstatt einem alles vernichtenden Feueratem, kamen Worte, in einer ihnen vertrauten Stimme, aus dem Geschöpf.
„Mensch, Kinder, ist alles in Ordnung bei euch?“

„Nora?“, wunderten sich die Drei.
„Meine Güte, das tut mir so schrecklich Leid! Ich wusste ja nicht, dass James direkt so gereizt auf Fremde reagiert.“
„James? Wer zur Hölle ist James?“, wollte Dicy mit genervter Stimme wissen.
„Mein Freund, gegen den ihr eben gekämpft habt. Sein Name ist James, James Boned.“
„Das ist doch kein Name für einen Drachen!“, echauffierte sich Eddy. „Und Nora auch nicht, wenn wir schon einmal dabei sind!“
„Nun, eigentlich heiße ich Venorax.“
V, Eddy und Dicy schauten sich an und nickten zustimmend.
„Das passt schon eher“, sagten sie gemeinsam.

„Wieso hast du uns hier runtergepustet, mh?“, wollte V wissen.
„Ihr seid misstrauisch geworden. Und das so kurz vor eurem Ziel! Ich wollte euch nur in die richtige Richtung schubsen.“
„Hättest du nicht einfach mit uns reden können? Wir wären hier fast draufgegangen!“, beschwerte sich Dicy.
„Was sollte ich euch denn sagen? Ich bin ein Drache, da unten wartet noch einer, aber keine Angst, wir tun euch nichts?“
„Apropos! Was ist denn jetzt mit James? Hast du ihn nicht plattgemacht?“, sorgte sich Eddy.
„Ach was. Ich hab ihn nur wieder ins Bett gebracht. Der kleine Matz braucht seinen Schönheitsschlaf!“

Es sollte einer ausführlichen Erklärung und noch längeren Entschuldigung bedürfen, bis die Wogen zwischen den beiden Parteien geglättet waren. Nora, ähm, Venorax erklärte den (Un)Wonted’s, dass sie so etwas, wie die Königin der letzten lebenden Drachen sei und zu diesem Zeitpunkt bereits viele tausende Jahre alt war. Nachdem sie mit angehört hatte, dass V und die Anderen zum Goldenen Hain mussten, wollte sie ihnen einfach helfen. Nicht zuletzt, da sie wohl die Zielperson des Auftrags kannte und sogar mit ihr befreundet war. Schließlich führte Venorax die Gruppe noch zu einem weiteren Höhlengang, an dessen Ende endlich ihr Ziel liegen sollte.

„Und nehmt es ihm nicht übel, wenn er etwas griesgrämig ist. Er ist schon eine ganze Weile allein.“
„Ja, ja. So schlimm wird es schon nicht sein“, verabschiedete sich Dicy lächelnd.
„Ach und eine Sache noch. Nehmt dies als Zeichen der Wiedergutmachung. Wegen all der Heimlichtuerei, dem Herunterschubsen und so, ihr versteht, hihi“, kicherte Venorax.
Eine knöcherne, doppelblättrige Kriegsaxt, eine Kürbisflasche aus massivem Knorpel und ein kleines Fläschchen mit einer weißen Substanz schwebten in die Hände der (Un)Wonted’s.
„Das können wir unmöglich …“
„Schon gut, schon gut. Das ist das Mindeste!“
„Danke, Venorax, für alles!“, bedankte sich Eddy.

So kam es, dass Dicy, V und Eddy ihrem Ziel zum Greifen nahe kamen, die Schätze eines unerforschten Dungeons in die Finger bekamen und sich mit einem waschechten Drachen anfreundeten. Mit dem Mächtigsten noch dazu. Viel verrückter konnte dieses Abenteuer nicht mehr werden. Oder vielleicht doch?

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