The (Un)Wonted´s

Kapitel 28: Aufstrebende Auftragnehmer

Heimat des Fortschritts, Progressia

Im Sekundentakt legten Handels- und Passagierschiffe in den Docks der zahlreichen Weltraumstationen an, welche unaufhörlich ihre Kreise auf der Umlaufbahn Progressias zogen. Von dort flogen Geschäftsleute, Touristen, Reisende, Politiker und andere Gestalten mit allen möglichen Motiven auf die Oberfläche des Planeten. Sie nahmen die Shuttlebusse und erforschten die Stadt, riefen selbstfahrende, fliegende Taxis, die sie zum nächsten Meeting bringen sollten, oder warfen sich mit ihrem eigenen Gefährt in den tosenden Verkehr der Metropole und erkundeten sie auf eigene Faust. Oder sie spazierten durch meterhohe Häuserschluchten, ließen sich von blinkenden Neonlichtern blenden und von schepperndem Techno wecken.

Unter ihren Füßen, getrennt durch eine meterdicke Metallplatte, ging gerade eine künstliche Sonne auf und weckte die Bewohner. Anstelle eines Kaffees und ausgewogenem Designerfrühstücks, gab es hier den Rest des Vortagesgetränks und eine halbe Kippe zur wichtigsten Mahlzeit des Tages. Man zog sich die abgelatschten Stiefel an und stapfte durch den Schlamm zum Dienst in den Minen. Schon nach dem ersten Schritt waren die Socken klitschnass, ein Kiesel verirrte sich unter die Hacke und man wusste einfach:
„Das wird ein beschissener Tag!“
Doch nicht für die (Un)Wonted’s! Ihnen sollte ein glorreicher Tag bevorstehen.
Ein halbes Jahr nachdem sie in meinem Büro Inferna gegenübergestanden hatten, vom Komplott Purgatoriums erfuhren und sich der Rettung allen Lebens annahmen, schafften sie es endlich ihren ersten vernünftigen Job als Gilde an Land zu ziehen. Oder besser gesagt, Dicy besorgte ihn sich.

Wer unten lebte, war in der Regel dazu verdammt, ein Dasein im Dreck, in der Armut und in der Vergessenheit zu fristen. Wenn man sich dennoch gegen Alkohol, Drogen und andere Betäubungsmaßnahmen entschied, arbeitete man in der Regel in den hiesigen Minen. Eine Arbeit, die überall sonst von Maschinen erledigt wurde, war hier noch ehrliche Handarbeit. Und das aus zwei Gründen:
1. Die Bezahlung war lachhaft, aber sicher. Eine Konstante, die viele Leute gebrauchen konnten.
2. Die Arbeit in den Stollen war so gefährlich, dass man seine teure und sensible Gerätschaft nicht riskieren wollte.

Unterirdische, natürlich vorkommende Gasreservoirs, welche bei Kontakt mit Sauerstoff sofort explodierten, blutrünstige, gigantische Fledermäuse, die in den finsteren Kavernen hausten und kindsgroße Maulwurfgestalten, sogenannte Molts, welche ebenfalls in den Tiefen lauerten und ihr Territorium verteidigten, koste es, was es wolle. In Summe waren ein paar tausend Menschenleben im Jahr einfach billiger.

Jedenfalls hatte der Konzern, welcher die Mine betrieb, schon länger Probleme mit den Molts, da ein neu geplanter Schacht genau durch ihre Gänge führte. Der Streit eskalierte, nachdem man die Bitten ignoriert und mit dem Bau begonnen hatte. Die Molts drohten, die anstehenden Eröffnungsfeierlichkeiten zu infiltrieren und sich zur Wehr zu setzen.
Der verantwortliche Bauleiter entschloss sich dazu, eine Gilde für die Sicherheit des Events zu beauftragen. Und wie der Zufall manchmal so spielt, hatte Dicy Bilder des Herren im Bordell, Aufnahmen von Drogenexzessen oder irgendwelche anderen belastenden Beweise, welche ihn dazu veranlassten, die (Un)Wonted’s einzustellen.

Die Party war in vollem Gange, der Schampus floss in Strömen und selbst ein paar der einfachen Arbeiter wurden hier und da platziert, um jeden ein Gefühl der Zugehörigkeit unterzujubeln. Als der Minenleiter die Treppen zu einer kleinen Bühne passierte, flüsterte er der Sicherheitschefin ein paar letzte Befehle zu.
„Verbock das bloß nicht. Meine Beförderung steht auf dem Spiel! Ist das klar?“
„Locker bleiben, wir haben alles im Griff“, antwortete Dicy ihm saucool und schob sich dabei die überflüssige Sonnenbrille nach oben. „Mach schon mal einen saftigen Bonus fertig. Und denk dran, uns an deine reichen Kollegen zu empfehlen.“

Kommentarlos ließ er die wortgewandte Techie hinter sich, stellte sich an das Mikrofon und gewann mit einem dezenten Schlag seiner Kuchengabel gegen das Glas seines überteuerten Champagners die Aufmerksamkeit der Gäste für sich.
„Meine Damen und Herren, verehrte Gäste und Freunde des Hauses, mit Freude und voller Stolz möchte ich Sie ein weiteres Mal zur Eröffnung des neuen Stollens im Südsektor begrüßen. Auf dass er uns reich beschenken möge.“
Dann kicherte und grinste er dämlich, beugte sich vor Gelächter leicht nach vorn und nahm einen Schluck. Schließlich musste er warten, bis das dämliche Grinsen und Kichern seiner hochwohlgeborenen Zuhörerschaft abklang.
„Wie ihr sicher bereits wisst …“, fuhr er fort. „… Und beendet damit unsere Expansionspläne im Süden der Stadt.“

Unterdessen hielt sich Dicy den Finger ans Ohr und tat so, als sei sie Teil eines Bond-Streifens.
„Ich kann mir das Geschwafel dieser stinkreichen Arschgeigen echt nicht mitanhören.“
„Konzentrier’ dich, wir müssen aufmerksam bleiben!“, erinnerte V.
„Nein, ehrlich!“, sie hielt, die mit Kunstblut vollgeschmierten, Finger in die Richtung ihres Partners, welcher eigentlich versuchte, in der Menge unerkannt zu bleiben. „Hier, ich blute wirklich aus den Ohren.“

„Ohne weitere Umschweife möchte ich nun gemeinsam mit euch die symbolische Bohrmaschine anwerfen, um die Inbetriebnahme offiziell zu machen.“
Der Redner nahm eine Fernbedienung aus der Hosentasche und stellte sich neben die riesige Bohrmaschine, mit welcher sie hier früher die Gänge frei gegraben hatten. Heute diente sie nur noch zu Anschauungszwecken.
Gerade als er den grünen Startknopf betätigen wollte, ertönte ein lautes Poltern aus dem bereits fertiggestellten Minengang, vor welchem die Feier stattfand.

„Hey, Neuer, was ist da los, hä?“, schrie Dicy in ihren Ohrstecker.
„Woher soll Bark wissen, woher dieser Krach kam“, entgegnete ihr das neuste Mitglied der (Un)Wonted’s.
Der Fischmensch war direkt vor dem Mineneingang positioniert, hielt es allerdings nicht für nötig, auch mal einen Blick hineinzuwerfen.
„Wärst du dann vielleicht so gut und würdest nachschauen?“, bat ein Magier, der seinen Frust nur schwer kontrollieren konnte.
„Kein Problem.“
Er drehte sich kurz um, nahm die Finsternis des Schachts wahr und wandte sich wieder der Party zu.
„Bark kann nichts erkennen. Ist viel zu dunkel für Bark.“
„Benutz’ deine gottverdammte Taschenlampe, die wir dir genau dafür gegeben haben!“, brüllte Dicy, die bereits wütend in seine Richtung trampelte.

Während Bark also in seine eigene Hand schaute und sich über den Fakt erschreckte, dass sich in ihr tatsächlich eine Lampe befand, hielt die Feierlichkeit gespannt den Atem an. Der Projektleiter, welcher noch immer auf der Bühne neben dem Bohrer stand, versuchte die Gäste in den langen Sekunden des Wartens, in denen Bark daran arbeitete, das Gerät anzuschalten, zu beruhigen.
Dann schoss plötzlich ein heller Lichtstrahl aus dem Scheinwerfer und offenbarte die dutzenden Maulwurfwesen, die mit zuckersüßem, aber blutrünstigen Gesicht in der Dunkelheit lauerten.

Schlagartig stürmten hunderte Molks aus dem Tunnel, bewaffnet mit klitzekleinen Spitzhacken, Schaufeln, Pfannen, Hämmern und Minenarbeiterhelmen.
„Scheiße, das ist die niedlichste Invasion aller Zeiten!“, fluchte Dicy, während ihr bereits fünf, sechs der Racker an Armen und Beinen hingen.
„Ich bring’ die Leute hier weg, seht ihr zu, dass ihr irgendwie diesen Mineneingang verschließt! Da kommen immer noch welche raus!“, instruierte V.
Sofort erschuf er unzählige astrale Messer, Streitkolben, Äxte und Schilde, welche sich den zahlenmäßig überlegenen Molks in den Weg stellten. Außerdem materialisierte er Hände aus Mana, ein magisches Experiment des Zauberers, welche den Gästen dabei halfen, den Ort des Geschehens möglichst schnell zu verlassen. Er selbst scannte pausenlos die gesamte Situation, tauchte urplötzlich da auf, wo man ihn gerade am dringendsten benötigen konnte und evakuierte die Zivilisten.

„Bark, kümmer du dich um den Eingang, ich halte diese Hamsterfressen zurück!“, befahl die Techie.
„Okidoki!“
Nachdem sie sichergegangen war, dass ihre Befehle unmissverständlich übermittelt wurden, leitete auch sie Verteidigungsmaßnahmen ein.
„Robb, schnapp’ dir den Boss und dann ab mit dir, er ist in der Gefahrenzone!“
Der treue Robotergefährte von Dicy ähnelte nun mehr einem Wolf, als einem Schoßhund und war in der Lage dazu, weitaus komplexere Aufgaben zu übernehmen. So griff er sich zum Beispiel den Redner, schmiss ihn sich auf den Rücken und rannte so schnell er konnte zu V.
In dieser Zeit prügelte Dicy mit ihrem rechten Roboterarm auf ihre wuseligen Widersacher ein und schoss mit ihrem linken, in einen Blaster transformierten Arm, Lasersalven, welche auf Betäubung eingestellt waren, ab.

„Bark, gib mal ein Update durch, wie läuft’s?“, erkundigte sich Dicy.
Doch eine Antwort blieb aus.
„Verflucht Bark, was ist da los?“, beteiligte sich V über Funk.
Zwischen all dem Chaos erkannte Dicy, wie Bark mit einem Molk schnatterte und sich herzlich zu amüsieren schien. Als er sich verträumt an die Wand lehnte und dabei seinen Kopf abstütze, schaltete er seinen Ohrstecker zufällig wieder ein.
„Horhorhor“, grunzte es in den Ohren seiner Gefährten. „Ihr seid schon ein ulkiges Völkchen.“
Dabei schlug er seinem Gegenüber freundschaftlich auf die Schulter, katapultierte ihn damit jedoch brutal durch die Luft.

„Bark! Los jetzt!“, schrien ihm seine Vorgesetzten direkt in den Schädel.
„Bin doch schon dabei“, brummte er und kratzte sich den Bauch.
Mit der anderen Hand schwang er seinen Vierzack ein paar Mal im Kreis und zielte anschließend auf den Minenschacht neben ihm. Ein Strahl aus purem Wasser schoss daraufhin aus einem schwebenden Wasserball, welcher unerschöpflich schien. Er riss die herausstürmenden Molks mit sich und setzte den gesamten Stollen unter Wasser.
„Fuck, bist du wahnsinnig!“, brüllte Dicy. „Das wird uns den ganzen Laden um die Ohren …“

Das Unheil nahm bereits seinen Lauf, noch während sie ihre Befürchtung aussprach. Die enormen Wassermassen, welche in dieser Sekunde unaufhörlich in die Gänge strömten, rissen eine bröcklige Wand mit sich und öffneten dadurch einen Hohlraum, der randvoll mit Gas war. Dem hochexplosiven Gas, welches sich spontan selbst entzündete, sobald es mit Sauerstoff in Berührung kam …

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