The (Un)Wonted´s

Kapitel 1: Anfang

Prolog

Es war der letzte Tag an einer der größten Akademien auf Progressia. Die Lehrer hielten ihre Abschlussreden und bereiteten ihre Schüler ein letztes Mal auf ihre zukünftige Reise vor.

„Und so kam es, dass im Jahre 2024 die Magie ihren Weg in unser aller Leben fand. Damals noch auf der Erde stand die Menschheit kurz vor ihrem endgültigen Untergang. Doch Individuen mit übernatürlichen Fähigkeiten betraten die Bildfläche und verteidigten die hilflose Bevölkerung vor den Magiern und Kriegern Fantasias. Dieser Konflikt dauerte mehrere Jahrhunderte an und wurde erst mit dem Erscheinen einer dritten Macht beendet. Der technologische Fortschritt gab auch den Leuten ohne besondere Kräfte die Möglichkeit zum Handeln.
Heute, im Jahr 2772, denkt keiner mehr an die feindseligen Zeiten von früher. Der Krieg ist vorbei und alle Völker, Fancies, Techies und Supies, können voller Zuversicht in ein Zeitalter des Friedens blicken.“
„Das wissen wir doch schon alles. Wozu waren wir sechs Jahre auf dieser Schule, hä?“
„Richtig, richtig“, räusperte sich der Lehrer. „Was ich euch damit sagen will:
Egal wie sich euer Leben in Zukunft entwickelt, welchen Schwierigkeiten ihr trotzen oder welchen Herausforderungen ihr euch stellen müsst, für jeden von euch gibt es …“

Das Klingeln unterbrach die epische Ansprache der Aushilfslehrkraft und signalisierte den diesjährigen Absolventen den Beginn ihres weiteren Lebens. Der Lehrer wedelte mit den Armen und versuchte erneut, die Aufmerksamkeit seiner ehemaligen Schüler zu gewinnen. Vergebens. Die Schlange von Jungen und Mädchen drängelte sich bereits aus dem Zimmer.
„Schön, schön.“ winkte er ab. „Mister Boldheart, Mister Vocatorem und Miss Cunningham, bitte bleiben Sie doch noch einen Moment.“

Ein unscheinbarer Junge, am Ende der Schlange, drehte sich daraufhin enttäuscht um und setzte sich zurück auf seinen Platz. Zotteliges, schwarzes Haar quoll unter seinem grünen Baseballcap, welches ein großes, goldenes „N“ auf die Front genäht hatte, hervor. Der dickliche Bauch wurde von einem weißen, fleckigen Shirt versteckt. Er trug eine kurze Sporthose und neongelbe Badelatschen.

Hinter ihm lag ein Mädchen mit verschränkten Armen auf dem Tisch und schnarchte vor sich hin. Sie trug eine blaue Jeansweste, auf der sich allerhand Bandpatches und Buttons befanden. An ihrem rechten Arm liefen, beinahe wie ein Tattoo, schwarze Linien, welche in Wahrheit die Stromleitungen für ihren kybernetischen Roboterarm waren, bis zu den Fingerspitzen hinab. Ein blonder Sidecut thronte auf ihrem Haupt und unter den kurzgeschorenen Haaren blitzte, dieses Mal war es wirklich ein Tattoo, das Bild eines kleinen Roboterhundes auf. Ein Gürtel hielt die rot-weiß gestreifte Jeans auf den Hüften und schwere Boots brachten sie von A nach B.

Am anderen Ende des Klassenzimmers, direkt am Fenster, saß ein Junge, der tief in seinem Buch versunken war. Er hatte langes, silbernes Haar und eine Narbe zog sich zwischen den Augen, quer über sein Gesicht entlang. Er trug ein schlichtes, weißes Hemd und eine blau-schwarze Sternchenkrawatte. Darunter eine graue Jogginghose, welche nur selten zum Joggen genutzt wurde und ausgelatschte Sneaker mit leuchtenden Schnürsenkeln. Und obwohl er recht muskulös war, erschien er aufgrund seiner Größe eher schlaksig.

„Ich muss euch sicher nicht daran erinnern, dass ihr noch immer kein Mitglied einer Gilde seid, oder?“, fragte der Lehrer, obwohl er die Antwort eigentlich schon kannte.
„N-nein, es ist nur, na ja. W-w-wie sag’ ich das am besten, a-also …“, stammelte Edward Boldheart.
„Wir sind Außenseiter, niemand will uns“, antwortete Arman Vocatorem kühl, ohne dabei den Blick von seinem Buch abzuwenden.
„Was mache ich bloß mit euch, mh?“
„W-wieso können wir Drei denn nicht …“
„Das hatten wir schon hundertmal. Ihr gehört verschiedenen Fraktionen an, so funktioniert das leider nicht“, schüttelte der Lehrer den Kopf.
„Miss Cunningham!“, sprach er mit gehobener Stimme. „Sie haben dazu wohl überhaupt nichts zu sagen?“
Das Mädchen hob anschließend langsam ihren Kopf, gähnte und streckte sich.
„Wen kümmert’s“, antwortete Desirée Cunningham schulterzuckend.
Dann stand sie auf und verließ ebenfalls das Zimmer.
„Miss Cunningham!“, schrie er nun wutentbrannt. „Soll ich ihren Eltern von diesem Verhalten berichten?“
„Nur zu. Sag liebe Grüße, wenn du sie gefunden hast.“
Ohne ihm einen einzigen Blick zu würdigen, schlug sie die Tür hinter sich zu. Als Nächstes schloss Arman das Buch, steckte es in seine Umhängetasche und verließ den Raum.
„Guten Tag“, verabschiedete er sich.
Zähneknirschend und kochend vor Wut ballte der Lehrer die Hand zur Faust und widerstand dem Drang, auf den Tisch zu schlagen.
„W-w-wir werden uns schon was einfallen lassen. E-e-entschuldigen sie die Umstände.“
Nachdem Edward sich beinahe unterwürfig verbeugt hatte, ließ er die brodelnde Ex-Autoritätsperson allein zurück.

Die Akademie war eine Lehranstalt, die jungen Personen die Möglichkeit geben sollte, ihre Fähigkeiten kennenzulernen und ihre richtige Handhabung zu meistern. Techies wurden zu brillanten Ingenieuren oder Wissenschaftlern ausgebildet, Supies zu heroischen, tollkühnen und rechtschaffenen Helden und Fancies zu mutigen Abenteurern. Und das in hunderten von Schulen überall auf Progressia. Doch dieses Kapitel ist für unsere Protagonisten, welche sich auf dem Gang vor ihrem Klassenzimmer wiederfanden, bereits abgeschlossen.

„Ich werd’s ein bisschen vermissen.“
„Die Schule?“, wunderte sich Arman.
„Quatsch! Den Alten auf die Schippe zu nehmen.“ lachte Desirée.
„S-s-seht ihr das nicht etwas zu l-l-locker? Wir müssen das kl-kl-klären, sonst werden wir …“
„Drauf geschissen, Eddy. Ständig erzählt man uns, dass die Fraktionen Frieden geschlossen haben, nur um uns von Kindesalter an zu unterscheiden und in Schubladen zu stecken.“
„D-d-das sagst du so, Dicy!“
„Ein brüchiges System, das nur funktioniert, wenn alle nach den gleichen Regeln spielen.“
„D-d-du auch, V?“
Dicy nahm ihre beiden Freunde in den Schwitzkasten, den Einen links, den Anderen rechts und zog sie durch den Schulflur.
„Uns trennt so schnell niemand, klar?“, rief sie dabei lauthals.
„Irgendwann brichst du mir das Genick, du verdammter Gorilla.“
„Wie hast du mich genannt, V, hä?“, schrie sie noch lauter.
Eddy versuchte sich das Lachen zu verkneifen, doch nachdem es ein leises Grunzen aus ihm heraus geschafft hatte, übermannte es ihn. Kurz darauf mussten auch Dicy und V lachen. Für einen Moment vergaßen sie die Probleme, die es zeitnah zu lösen galt.
Ein letztes Mal schlenderten sie durch die schleusenartigen Hallen der Akademie, schauten sich die holografischen Bilder vergangener Schulerrungenschaften, früherer Absolventen an und ließen sich vom grellen, weißen Licht der Leuchtstoffröhren blenden. Ein letztes Mal genossen sie den Cafeteria-Fraß, den sie hier Essen nannten und ein letztes Mal verewigten sie sich an den, ohnehin bereits voll-getaggten, Klotüren.

Der Hof war überfüllt mit Eltern, die ihre Kinder beglückwünschten, Kindern, die sich unter Tränen von ihren Freunden verabschiedeten und Freunden, die sich „Bis bald“ anstatt „Lebe Wohl“ sagten. Eddy, Dicy und V schauten sich das Spektakel von der Seitenlinie aus an, denn auf sie wartete ohnehin niemand. Sie schwelgten in Erinnerungen, den Guten wie den Schlechten und verabschiedeten sich still von diesem Ort. Jeder für sich. Bis ein Stein, welcher gegen Eddys Kopf schlug, sie in ihren Gedanken unterbrach.

„Ey, Shithart, immer noch hier? Hätte nicht gedacht, dass ich dich hier noch erwische.“
Ein hochgewachsener und breit gebauter junger Mann kam grinsend auf Eddy und die Anderen zugelaufen. Es folgten ihm zwei weitere Gestalten, die man hinter ihm kaum erkennen konnte.
„Fuck, was will der denn?“
Dicy schnippte ihre Kippe beiseite und stellte sich dem Jungen in den Weg.
„Verzieh dich Alphons, sonst setzt’s was.“ drohte sie.
Alphons war gut und gerne drei Köpfe größer als Dicy und verrenkte sich beinahe das Genick, um zu ihr runterschauen zu können.
„Schnauze.“
Aus seinem muskulösen Arm wuchsen unzählige Haare, seine Hand wurde zu einer Klaue und mit unbändiger Wucht schleuderte er Dicy mit einem Mal in die meterweit entfernten Mülltonnen.
„W-w-was ist e-e-eigentlich d-d-dein …“
Alphons packte Eddy am Schlafittchen und hob in weit in die Luft.
„I-i-ich sp-sp-spreche leider k-k-kein L-L-Loser, hahaha.“
Daraufhin feixten auch seine beiden Kumpels, die unterdessen V ruhig hielten. Dieser schnippte allerdings unbemerkt mit dem Finger und plötzlich schepperte ein Fenster über ihnen. Glasscherben regneten auf den kiesigen Boden und eine entsetzte Lehrerin schaute sogleich heraus.
„Noch seid ihr auf dem Schulgelände, also verhaltet euch auch dementsprechend! Na wartet, wenn ich euch erwische!“
Sie verschwand so schnell sie aufgetaucht war und hetzte eilig die Treppen hinunter.

Bastion Beta, einer der Schergen von Alphons, tippte diesen auf den behaarten Rücken.
„Alphons, los, hauen wir ab.“
Dieser ließ Eddy in den Dreck fallen und klopfte sich den Staub von den Schultern, während Gillian Gamma, Scherge Nr. 2, ihn langsam mit sich zog.
„Glück gehabt, ihr Hosenscheißer. Nächstes Mal kommt ihr nicht davon.“ zischte er der Gruppe zum Abschied entgegen.
Die drei Schulhofganoven zogen ab und hinterließen nichts, als schlechte Laune und einige Kratzer.

Eddy und V rannten zu den Mülltonnen, aus denen Dicy gerade herauskletterte.
„Fuck, was sollte das, V? Seit wann lassen wir unsere Ärsche von den Lehrern retten?“ bellte sie.
„Seitdem ich es satthabe, sie mir versohlen zu lassen.“
„Ich hatte alles unter Kontrolle.“
„Das habe ich gesehen“, antwortete er und nahm dabei eine Bananenschale von ihrem Schädel, die bis eben wie ein Hut auf dem Kopf des Roboterhund-Tattoos saß.
„L-l-lasst uns erst mal schn-schn-schnellstens von hier verschwinden!“
„Verdammt, Eddy! Lass dir endlich mal ein paar Eier wachsen und zahl diesem Straßenköter die jahrelangen Strapazen zurück!“ tobte Dicy, während sie von Eddy vom Schulgelände geschoben wurde.
„W-w-wie bitte? I-i-ich? So-so-sogar du siehst alt gegen A-A-Alphons aus.“
„Stimmt überhaupt nicht. Das nächste Mal mach´ ich den lang, wart’s nur ab!“
„Das hör´ ich schon seit Jahren.“
„Pah, sei du mal lieber ganz still! Du hast doch schon gegen die Handlanger keinen Stich gesehen.“
„Touché“
„V-v-vergesst es, Leute. Lassen wir es ei-ei-einfach gut sein für heute.“

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