The (Un)Wonted´s

Kapitel 11: Mitternachtsausflug

Das Abenteuerkönigreich Fantasia

Obwohl Fantasia vor verschiedenen Völkern und Kulturen nur so überquoll, schafften es nur die wenigsten von ihnen in die Realität. Als die K.I.‘s ihren Weg in die echte Welt fanden, übernahmen sie die menschlichen Körper derer, die in dem Spiel eingeloggt waren. Leider waren sie aber nur das, menschlich. Plötzlich fanden sich grünhäutige Orks, spitzohrige Elfen und winzige Gnome in stinknormalen, lahmen Menschenkörpern wieder. Erst viele Jahre später, als man dazu in der Lage war, künstliche Körper nach dem Vorbild eines mehr oder weniger fiktiven Vorbildes zu schaffen, fanden auch die restlichen Rassen ihren Weg in die Realität.

Es war eine bewölkte Vollmondnacht, die unsere Helden in einer Höhle verbrachten. Nachdem sie ihre Rationen genüsslich verspeist, ihre Wunden versorgt und ihr weiteres Vorgehen besprochen hatten, ging jeder seinen eigenen Dingen nach. Besser gesagt, Eddy und V meditierten und Dicy langweilte sich zu Tode.
„Leute, erzählt doch mal einen Schwank aus eurer Jugend“, lallte sie und schwang dabei ihren Krug von links nach rechts und wieder zurück, ohne dabei einen einzigen Tropfen zu vergeuden.
„Pssssst!“, pssssschte ihr Eddy zurück.
„Wollen wir was spielen? Flaschendrehen vielleicht?“
„Du störst!“, grummelte V.
„Selber schuld, wenn ihr euch die Chance, mit einer Schönheit wie mir zu knutschen, entgehen lassen wollt.“
Die beiden öffneten desinteressiert ein Auge und hoben genervt eine Braue.
„Schön, dann geh’ ich mal pinkeln.“

Draußen angekommen öffnete sie ihren Gürtel und war dabei, ihre Hose herunterzuziehen, als ihr plötzlich ein faustgroßer, illuminierter Ball entgegengeflogen kam. Er knallte ihr fast ins Gesicht, nur um kurz davor, mit einem Mal geradewegs nach oben zu sausen. Wie hypnotisiert folgte Dicy’s Blick dem Ding, bis es in einem helleren Licht verschwand. Es sah aus, als würde es direkt aus der steinernen Felswand über ihrer Höhle kommen.
Sie starrte mittlerweile so steil nach oben, dass sie glatt das Gleichgewicht verlor und rückwärts auf ihren Po fiel.

Vom dumpfen Aufprall ihres Sturzes gewarnt, eilten Eddy und V aus ihrem Lager. Während Letzterer mit gezogenem Kampfstab in der Hand den Ort des Geschehens erreichte, hielt Ersterer schützend, beinahe verängstigt, die Fäuste vor seinen Kopf.
„Ist das wieder dieses Chimera-Vieh? Bitte nicht“, winselte er.
Dicy, die noch immer auf dem Rücken lag, streckte nun ihre Hand in den Himmel und zeigte auf das Leuchten, welches nach wie vor aus dem Felsen schien. Eddy und V folgten ihrem Finger und schauten ebenfalls nach oben. In diesem Moment schafften es ein paar Strahlen des Mondes an den Wolkenbergen vorbei und fielen genau auf das Licht über ihnen. Es offenbarte eine riesengroße Wurzel, anstelle einer bergigen Wand. Und die Höhle, in der sie nächtigen wollten, war in Wahrheit nur eine Lücke zwischen Holz und Boden.

„Meine Fresse, dagegen wirken die Bäume hier ja wie Zahnstocher“, staunte Eddy.
„Das ist eine Wurzel des Weltenbaumes, Yggdrasil“, klärte V auf.
„Und die leuchten?“, fragte Dicy sarkastisch, während sie wieder aufstand.
„Normalerweise nicht.“
Während Eddy sich noch ratlos am Hinterkopf kratzte, packten ihn seine Freunde schon unter den Armen und hievten ihn gemeinsam zum beleuchteten Fleckchen. Als sie in dieses hineinsahen, blickten sie durch ein Fenster und in das Innere eines Raumes.
Gepolsterte Liegen und Sessel, verzierte und luxuriöse Teppiche und ein Kamin, in dem ein wärmendes Feuer loderte, luden zum Verweilen ein. Am auffälligsten waren allerdings die unzähligen Bücher, welche wie eine Tapete das gesamte Zimmer umgaben. Ihre Regale wuchsen auf ganz natürliche Weise aus der Wurzel heraus und hielten sie an Ort und Stelle.
„Unmöglich!“, stutzte V. „Die Vollmond …“
Bevor er seinen Satz beenden konnte, verschlang ein magisches Portal die Drei und spuckte sie in der Mitte des Raumes, welchen sie eben noch von draußen betrachteten, wieder aus.

Als sie ihre Augen öffneten, blickten sie in tausende, eisige Nähnadeln, die wie ein Fächer um sie herum auf sie gerichtet waren. Sie drohten auch nur bei der kleinsten Bewegung, wie Geschosse auf sie einzuregnen. Außerhalb des Fächers gab sich eine Frau mit langen, silbernen Haaren zu erkennen. Sie trug einen Spitzhut, an dessen Ende ein Halbmond herunterhing und eine dunkelblaue Kutte. Sie hielt ihren Zauberstab, der ein blaues Licht absonderte, in einer Hand und zielte auf die fremden Eindringlinge vor sich. Neben ihr schwebte der strahlende Ball, welcher eben noch fast in Dicy krachte, aufgeregt umher.
„Wer seid ihr und was versucht ihr mit eurem nächtlichen Eindringen in die Vollmondarchive zu erreichen? Spuckt es aus oder ihr werdet heute euren letzten Atemzug nehmen!“, drohte die Unbekannte.

Eddy hielt kapitulierend die Hände in die Luft. Dicy hingegen scannte aufmerksam die Situation und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Einzig V stand locker da und klopfte sich den Staub von der Hose.
„Hey, Schwesterherz, lang nicht gesehen“, sagte er.
Die Frau richtete nach diesen Worten ihren Hut, der ein wenig über ihr Gesicht gerutscht war. Sie rieb sich ungläubig die Augen und lehnte sich ein Stück nach vorn, nur um ganz sicherzugehen.
„A-a-arman?“, stotterte sie.
„Der einzig Wahre“, griente er.
„Wooohooo!“, schrie sie plötzlich.
Sie warf ihren Zauberstab in die Luft und rannte in die Arme ihres Bruders. Die tödlichen Nadeln um ihn herum taten es dem Stab gleich und steckten kurz darauf in der Decke. Wenig später umarmten sich die beiden innig.

Unterdessen schlugen die Kinnladen seiner beiden Begleiter hart auf den hölzernen Boden und ihre Pupillen schossen zwischen den zwei Geschwistern hin und her.
„Waaaaas?“, wunderten sich die Zwei lautstark.
Doch V und seine Schwester ignorierten sie gekonnt und freuten sich einander nach langer Zeit wiederzusehen.
„Meine Güte, Arman, wie groß du geworden bist! Wie ist es dir ergangen, was treibst du so?“
„Eins nach dem anderen, Malania, wollen wir uns nicht erst mal setzen?“
„Richtig, richtig! Pix, wärst du so gut und würdest uns einen Tee kochen?“
Das Licht flog anschließend in einen anderen Raum. Wenig später vernahm man klirrendes Geschirr und brodelndes Wasser.

Als es sich Malania, V und die Anderen gemütlich machten, kam es mitsamt Kanne und Tassen zurückgeflogen. Es stellte alles auf einen Tisch ab und schwebte dann in den Schoß von Malania.
„Was ist das für’n Teil?“, fragte Eddy, während er von seinem Tee nippte.
„Das ist kein Teil!“, empörte sich V’s Schwester. „Sie ist eine Pixie. Eine äußerst süße und liebenswürdige noch dazu.“
Die kleine Fee lag bereits schnarchend auf den Beinen ihrer Freundin. Das Leuchten, welches sie bis eben noch von sich gab, erlosch und offenbarte den wahren Körper des winzigen Wesens. Sie hatte eine humanoide Form, ihre Haut war jedoch moosgrün und von geschnörkelten Lianen umgeben. Klitzekleine, von Ästen durchwobene Flügel wuchsen aus ihren Schultern.
„‘tschuldige“, hustete Eddy, da er sich beim Trinken verschluckte.

„Sie wäre fast in mich reingekracht!“, fügte Dicy hinzu.
„Das tut mir leid.“
Malanias Stimme wurde flach und sie begann zärtlich Pix zu streicheln.
„Sie war auf der Flucht. Ihre Heimat wird seit einer Weile von Goblins heimgesucht. Ich vermute, dass ein Schamane für die gezielten Überfälle dieser kleinen Mistkerle verantwortlich ist.“
„Dann müssen wir ihnen schleunigst helfen!“, sagte Eddy mit erhobener Stimme.
„Ihr müsst euch nicht darum sorgen. Die Pixie sind ein Volk, dass sich zu wehren versteht. Außerdem werde ich mich morgen in aller Früh selbst darum kümmern.“
„Viel zu tun, seitdem du Lunaarchivarin bist, mh?“, stellte V fest.
„Ja, haha. Es wird zumindest nicht langweilig.“

Das Vollmondarchiv war eine der bemerkenswertesten Sammlungen an Schriftstücken, Dokumenten, Büchern und Überlieferungen, die es auf Fantasia gab. Zusammen mit der königlichen Bücherei in Elfheim, Hauptstadt der Elfen und den unendlichen Lesekammern in Strawgoh, der größten Zauberschule aller Zeiten, bildeten sie das Triumvirat der Bibliotheken und vereinten das gesamte Wissen Fantasias unter sich. Und als Archivar des Vollmondarchivs kam lediglich ein fähiger Magier infrage, der während einer totalen Mondfinsternis geboren wurde. So wie es bei Malania der Fall war. Die Besonderheit des Vollmondarchivs lag darin, dass niemals alle Bücher gleichzeitig zur Verfügung standen. Je nach Mondphase veränderten sich die Schriftstücke innerhalb des Archivs. Was eben noch ein Zeugenbericht des ersten Dämonenkriegs war, konnte nächste Woche schon ein zwergisches Kochbuch sein.

„Aber sagt, was führt euch nach Fantasia?“, fragte Malania.
„Wir sind eine Gilde und sind gerade dabei, einen Auftrag zu erledigen.“
„Du hast es also tatsächlich geschafft? Ich bin stolz auf dich, V!“
„Und nicht nur das! Er ist sogar der Gildenmeister!“, verkündete Eddy ebenso stolz.
„Moment, was?“
„Ja, weißt du, eins kam zum anderen und schwupp …“
„Warte, warte. Jetzt wo du es sagst, ihr zwei seid nicht einmal Fancies!“
„Richtig, wir sind nämlich eine super schlaue Abenteurerliga!“, behauptete Dicy selbstbewusst.
„Wie bitte?“
„Lange Geschichte, pass auf.“
In der nächsten Stunde erzählten die Drei von ihrem Eignungstest, ihrem Kampf gegen Alphons und seinen Handlangern, von der Gründung der (Un)Wonted’s und ihrer Mission, um offiziell anerkannt zu werden.

„Mh, das Manaleum also?“, murmelte Malania nachdenklich.
„Richtig, schon mal davon gehört?“, fragte V.
„Nö, keinen blassen Schimmer!“, lachte sie.
Die Drei ließen enttäuscht ihre Köpfe hängen.
„Aber schaut euch gerne um, vielleicht könnt ihr hier etwas darüber in Erfahrung bringen.“
„Danke!“, entgegneten ebenfalls alle Drei, nachdem sie neuen Mut gefasst hatten.
Doch selbst, nachdem sie die ganze Nacht in den Büchern des Archivs nach Hinweisen gesucht hatten, fanden sie nichts. Am nächsten Morgen kam Malania zurück in den Saal. Sie fand Eddy und Dicy schlafend, mit dem Kopf auf einem Tisch liegend, vor. Einzig V versank nach wie vor in den unzähligen, neuen Büchern, die er hier fand.
„Und?“, erkundigte sie sich.
Er schüttelte den Kopf.
„Ihr könnt gerne bleiben und auf die nächste Mondphase warten. Vielleicht findet ihr dann etwas.“
„Ich denke nicht, dass meine Freunde so lange in einem Archiv versauern wollen.“
„Eine Schande.“
„Wem sagst du das!“

„Wie wäre es, wenn ihr der königlichen Bücherei in Elfheim einen Besuch abstattet?“, schlug Malania vor.
„Das klingt gut. Wir haben sowieso noch etwas in der Hauptstadt zu tun.“
„Gut! Dann viel Erfolg!“
Malania gab ihrem Bruder einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete sich.
„Pass auf dich auf. Und warte das nächste Mal nicht zehn Jahre, bis du mich besuchst!“
„Versprochen! Und sei du auch vorsichtig.“

Mit diesen Worten trennten sich die Geschwister voneinander und gingen erneut ihre eigenen Wege. Nachdem Eddy und Dicy von ihrem Nickerchen aufgewacht waren, machten auch sie sich auf den Weg.

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