The (Un)Wonted´s

Kapitel 14: Hausfrieden

Das Abenteuerkönigreich Fantasia

Die Dynastie der Vocatorems war bemerkenswert. Einem entfernten Vorfahren von V gelang es vor langer Zeit, den Segen des Manas zu erhalten. Ihm wurden unglaubliche magische Fähigkeiten zuteil, welche er sein gesamtes Leben lang trainierte, verbesserte und letztendlich weitergab. Viele Generationen später schaffte es Armans Vater bis zum Schulleiter von Strawgoh und damit zum mächtigsten Magier Fantasias. Seine Kinder wiederum waren ebenfalls auf dem besten Wege, ein Teil der Geschichte in den Zauberbüchern zu werden. Bis V das Licht der Welt erblickte.

Seine Mutter war eine Frau Progressias, ein Mensch, was V zu einem Halbelfen machte. Ohne die spitzen Ohren seiner Sippe war sein Schicksal in der Sekunde besiegelt, indem er zum allerersten Mal die Augen öffnete. Und obwohl auch er mit einem enormen Talent für Magie geboren wurde, so stempelte man ihn aufgrund seiner Elementarlosigkeit als Fehler ab. Als jemanden, der den Fluch des Manas, anstelle des Segens erhielt.

Nachdem er bei einer Bediensteten aufwuchs und später auf der Familienresidenz in Strawgoh von seinem Vater und Bruder trainiert, besser gesagt drangsaliert, gequält und gefoltert wurde, verbannte man ihn aus der Familie, um nicht mit einem derartigen Fehlschlag in Verbindung gebracht zu werden. Man schickte ihn zurück nach Progressia, schrieb ihn an der Akademie ein und überließ ihn fortan sich selbst.

Doch wie es der Zufall so wollte, schlich er gerade wieder durch die Straßen Elfheims, die Stadt, welche er früher so unbeschreiblich schön fand. Die unzähligen Gerüche von Kräutern, Mixturen und Speisen vermischten sich in einen unverkennbaren, nostalgischen Duft. An jeder Ecke wurde eine andere Sprache gesprochen und Wesen, von denen man lediglich in Kindermärchen vorgelesen bekam, liefen hier an einem vorbei und lächelten freundlich.

Als V sich den Toren zum oberen Ring näherte, stolperte er über eine Gruppe magischer Studenten aus Strawgoh, die zufällig die gleiche Kutte wie er trugen. Sie kamen für ihre Studien hierher und wollten ihr Wissen in der königlichen Bücherei erweitern. Während sie sich an einer der vielen Fressbuden einen Snack gönnten, warf er sich seine Kapuze über und mischte sich unter sie. Er schaute ununterbrochen in seine Handflächen, in welchen eines seiner Bücher ruhte und tat so, als sei er tief in seiner Literatur versunken. Vermutlich war er das wirklich.

Bei der Kontrolle hielten die Studenten den Wachen lediglich ihre Abzeichen entgegen, welche sie als Schüler der Zauberschule auswiesen. Selbst V wurde anstandslos durchgewunken, obwohl er überhaupt nichts in die Luft hielt. Offenbar wurden die Novizen bereits angekündigt und die Informationen über die eingedrungenen Schmuggler erreichten diesen Wachposten noch nicht.

So oder so schafften sie es ohne irgendwelche Komplikationen an den Toren vorbei und kurz darauf in die Hallen der Bibliothek. Nun ging es einzig darum, sich wieder unbemerkt von der Gruppe zu trennen. Denn diese machte sich zum Flügel für magische Praxis auf, V hingegen wollte in die Abteilung für Geschichte.
„Ich muss nur mal kurz aufs Klo“, sagte er und entfernte sich von ihnen.
Dann kontrollierte er mehrmals die Lage, machte sich mit den Positionen und Routen der Wachen vertraut und schaffte es letztlich unbemerkt vor die Tore des Geschichtssaales.
„Easy peasy lemon squeezy“, murmelte V, während er die Türen öffnete.

Auf der anderen Seite legte eine hochgewachsene Person gerade ihre Hand auf den Knauf, als er sich scheinbar von selbst zu drehen begann und ihr plötzlich entgegenkam. Die Beiden krachten fast ineinander, blieben allerdings kurz vorher stehen. V schaute erschrocken nach oben und sah in das argwöhnische Gesicht eines Mannes, welcher verwundert eine Braue nach oben zog.
Er trug eine edle, schwarze Robe, welche mit rubinroten Mustern dekoriert war. In seinen langen, spitzen Ohren hingen dutzende goldene, mit Jade versehene Ringe und Stecker. Er trug eine prunkvolle, blau schimmernde Saphirhalskette und sein silbernes Haar war zu vielen Zöpfen geflochten, welche schließlich in einen Einzigen zusammenliefen.

„Arman?“
„Romanak, Bruderherz, na? Mensch, ist ja ‘ne Ewigkeit her. Wie geht’s?“, stammelte V.
„Was willst du hier, Arman, solltest du nicht an der Akademie studieren?“, fragte Romanak.
„Ich hab dieses Jahr meinen Abschluss gemacht.“
„Und? Keine Gilde gefunden?“
„Doch. Ich bin sogar der Gildenmeister.“
„Ist das so?“
Er rieb sich misstrauisch die Stirn und stellte dann beide Arme in die Hüfte.
„Was willst du also hier?“
„Wir sind dabei, einen Lieferauftrag zu erledigen. Ich kam bloß her, um herauszukriegen, wo wir hin müssen. Keine Angst, bin gleich wieder weg.“
Romanak gab sich keine Mühe seinen Unmut zu verbergen, es war klar, dass er V nicht hier haben wollte. Diesem war das natürlich ebenfalls klar und so versuchte er an seinem großen Bruder vorbeizugehen.

Dieser hielt nun jedoch, den Weg blockierend, seinen Arm vor V und starrte noch ungläubiger zu dem jungen Magier herab.
„Wir?“
„Ja, meine Freunde und ich.“
„Freunde?“
„Meine Partner und Gildenmitglieder, Dicy und Eddy, warum?“
„Dicy und Eddy, mh?“
„Hast du damit auch ein Problem?“
„Vielleicht. Du weißt nicht zufällig etwas, über drei Fremde, die dabei erwischt wurden, wie sie unbekannte Waren nach Elfheim schmuggelten?“
Ein Blick des Verdachts lag auf V und er wurde das Gefühl nicht los, als würde sein Bruder direkt in seinen Erinnerungen wühlen.
„Ich? Ach wo! Wie käme ich denn dazu?“, antwortete er nervös.

„Meinetwegen“, seufzte er. „Wie kann ich dir helfen?“
„Ähm, na ja, also, wir müssen zum Manaleum, falls dir das was sagt.“
„Tut es. Merkwürdiger Ort für eine Lieferung, doch mir soll es egal sein. Verlasst Elfheim und folgt den Wurzeln nach Norden, irgendwann solltet ihr den Drachenkamm erreichen …“
„Und dort liegt das Manaleum?“
„Nein. Unterbrich mich nicht! Hör einfach zu.“
„So müssen sich Eddy und Dicy fühlen“, dachte V, behielt seine Gedanken allerdings für sich und nickte nur zustimmend.
„Eine der Wurzeln führt tief in den Drachenkamm hinein, bis ihr den Drachenfriedhof und den Goldenen Hain erreicht. In ihm befindet sich das Manaleum.“
„Wahnsinn, okay! Danke, Romanak, das hilft uns …“
„Ich helfe dir nicht aus reiner Nächstenliebe. Ich bezwecke damit lediglich eure baldige Abreise. Als königlicher Archivar kann ich mir solche Unruhen in meiner Stadt nicht erlauben.“
„Warum lässt du uns nicht einfach verhaften, wenn du dir so sicher …?“
„Weil ich unseren Namen nicht noch weiter in den Dreck ziehen möchte!“, unterbrach Romanak mit erhobener Stimme. „Schließlich hast du da bereits ganze Arbeit geleistet.“

Nachdem Dicy und Eddy bemerkt hatten, dass sie Bark die falsche Schatulle gaben, drehten sie schnurstracks wieder um, stiegen erneut über den volltrunkenen Musiker und standen im Nullkommanichts wieder im Lallenden Barden. Bark saß noch immer auf seinem Platz, bearbeitete mittlerweile allerdings ein zweites Fass Bier. Schnellen Schrittes gingen die beiden zu ihm.
„Yo, Bark, wir haben Mist gebaut“, platzte es aus Dicy, während sie sich mit beiden Händen auf dem Tisch stützte und in Bark’s Richtung lehnte.
„Hallo, Freunde!“, grüßte er lächelnd.
„Hey, Kumpel. Hör mal zu, wir haben dir die falsche Ware gegeben“, begann Eddy und legte währenddessen die richtige Schatulle vor sich. „Wir müssen nur einmal tauschen, bitte.“
„Aber Bark braucht Initialisierungsprogramm. Wie soll Bark sonst sein Schiff starten?“
„Das versuchen wir dir ja zu sagen. Du hast das Programm nicht. Wir haben es verwechselt.“

Bark nahm unterdessen zögerlich die Schatulle aus seiner Tasche und schaute skeptisch zwischen den Schachteln hin und her.
„Und ihr wollt Bark auch nicht verarschen?“
„Quatsch! Was hätten wir denn davon?“, verhandelte Eddy.
„Bark’s Initialisierungsprogramm.“
„Das wollen wir aber nicht, verdammte Scheiße! Jetzt gib uns einfach unser Paket zurück, nimm dir die richtige Schatulle und schon sind wir wieder weg!“, raste Dicy, mit gesenkter Stimme.
„Bark weiß nicht so genau.“
„Ich werd’ wahnsinnig!“
Dicy schlug sich verzweifelt mit der flachen Hand auf die Stirn und drehte sich um. Dabei erkannte sie zwei Wachen, welche gerade die Taverne betraten. Im Bruchteil einer Sekunde drehte sie sich wieder zurück.
„Wir haben Gesellschaft“, murmelte sie in Eddy’s Ohr.
Doch Bark sah die neuen Gäste auch und es kam, wie es kommen musste.
„Ihr habt Bark beschissen? Ihr seid keine Freunde mehr von Bark!“, schrie er.
Dann sprang er mit einem Satz aus dem Fenster und machte sich davon.

Unterdessen erreichten V und Romanak streitend einen Balkon der königlichen Bücherei und schauten über die Dächer Elfheims.
„Du hättest es einfach aufgeben und ein normales Leben führen sollen!“
„Und der Magie für immer den Rücken kehren?“
„Zumindest wäre dir … wäre uns eine Menge Schmerz erspart geblieben.“
„Euch wäre Schmerz erspart geblieben?“, brodelte V. „Etwa als Vater mich vor die Tür gesetzt hat? Als er mich aus Strawgoh verbannt hat? Oder als du mich im Training fertig gemacht hast, immer und immer wieder?“
V griff sich an die Narbe in seinem Gesicht, so, als würde sie selbst nach all den Jahren noch schmerzen.
„Du weißt einfach nicht, was damals für uns auf dem Spiel stand.“
„Mehr als ein Leben, scheinbar, denn meins hättet ihr beinahe zerstört.“
„Arman … hätten wir dich nicht fortgeschickt, dann wären wir nicht da, wo wir heute sind. Du musst es doch auch schon gemerkt haben! Wir sind die mächtigste Magierfamilie, die es jemals gegeben hat. Mit unserem Einfluss können wir die Geschicke aller Fancies lenken und bald …“
„Wen juckt das, hä?“
Romanak fror an Ort und Stelle ein und musste den Hass in der Stimme seines Bruders einen Moment sacken lassen.
„Du verstehst es einfach nicht.“
„Nein, du verstehst es nicht, Bruder“, antwortete V.

Plötzlich wurden die beiden vom Krach und Lärm abgelenkt, welcher aus den unteren Ebenen der Stadt kam. Dann waren Explosionen zu sehen, Staubwolken verdeckten ganze Stadtteile und man hörte Bürger bis in den Palast schreien. Fässer, Marktstände und sogar Soldaten der Stadt wurden in die Luft geschleudert, während eine monströse Welle sich ihren Weg durch die Straßen bahnte. Es kehrte ein wenig Ruhe ein, nachdem ein Donnerschlag den Tumult scheinbar beendet hatte.

„Hier ist ja was los“, grinste V, während sein Auge zuckte und eine Stressader auf seiner Schläfe pulsierte.
„Du weißt, dass ich das unmöglich alles vertuschen kann?“
„Mach dir keine Mühe, du musst überhaupt nichts.“
V stieg auf das Geländer des Balkons.
„Pass auf dich auf, Arman.“
Er drehte sich um und lächelte seinem Bruder ins Gesicht.
„Auf Nimmerwiedersehen“, sagte er und hielt ihm den Mittelfinger entgegen, als er sich rückwärts von der Terrasse stürzte.
Das Letzte, was Romanak sah, bevor er zurück in die Bibliothek trat, war, wie V auf seinem Manaboard dem Chaos entgegen sauste.

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