The (Un)Wonted´s

Kapitel 9: Aufbruch

Das Abenteuerkönigreich Fantasia

Obwohl Progressia, mit ihrer eisernen, zivilisierten Hülle, welche nichts vom eigentlichen Planeten preisgab, ein spektakulärer Anblick war, so war sie dennoch nur eine von vielen Welten in den unendlichen Weiten des Alls. Eine andere dieser Welten war Fantasia, die Heimatwelt der Fancies. Wobei es sich bei Fantasia um einen recht speziellen Fall handelte.

Geschaffen von den Menschen, war sie in der Vergangenheit nichts, als eine Spielwelt, welche einzig der Unterhaltung diente. Doch ihre Bewohner, sogenannte NSC’s, entwickelten ein eigenständiges Bewusstsein, wehrten sich gegen die fremden Invasoren und fanden sogar einen Weg aus der digitalen Welt. Sie übertrugen ihre künstliche Intelligenz, oder besser das Programm, auf dem ihre Individualität beruhte, ihre Seele, auf die Körper der Spieler, deren Bewusstsein sich im Spiel befand. So übernahmen sie die Kontrolle dieser leeren Hüllen und füllten sie mit all den magischen und übernatürlichen Fähigkeiten, die sie in Fantasia erlernten und zu beherrschen wussten. Damit brach eine Zeit der Unterjochung und Versklavung der Menschen an.

Heute diente sie als wertvollstes Handelszentrum der gesamten Galaxie. Der Fortschritt der Technologie erlaubte es, allerhand Gepäck, Waren und andere Güter mit in die ehemalige Spielwelt zu nehmen. Und da sie von nahezu überall aus erreichbar war, verliefen beinahe alle Handelsrouten durch Fantasia. Die Fancies verdienten sich selbstredend eine goldene Nase an der Sache und machten sich für jeden, der effizient Handel treiben wollte, unverzichtbar.

Dicy fand in ihren Recherchen, denen sie sich widmete, nachdem sie sich ein wenig von ihrem brutalen Kater erholt hatte, heraus, dass das Manaleum ein Grabmal auf Fantasia war. Für wen es war oder wo es sich befand, brachte sie nicht in Erfahrung, allerdings sollte es wohl irgendwo im Reich der Elfen sein.

V stöberte bereits in aller Früh, nachdem er sich vor die Türen des Theaters übergeben hatte, durch seine Bücher und suchte nach einem M, oder irgendetwas, das vielleicht auf eine Existenz einer solchen Person hindeutete. Er machte sich wenig Hoffnung, da er nicht daran glaubte, dass es sich bei ihrer Zielperson um Jemanden handeln würde, der berühmt genug war, um in einem seiner Bücher zu landen.
Eine alte Geschichte, welche man Kindern vorm Schafen gehen vorlas, erzählte jedoch von einem M, der sein Ende fand und damit den Sieg der KIs besiegelte. Sollte dieses Märchen wahr sein, dann müsste M vor hunderten Jahren gestorben sein, sofern sich besagte Zeile auf den Niedergang der Menschheit bezog. Außerdem würde es mit Dicys Erkenntnissen übereinstimmen, welche die Gruppe zu einem Grabmal führen sollte.
„Doch warum einem Toten etwas liefern?“, grübelte V.

Die (Un)Wonted’s beschlossen, dass sie zuallererst nach Fantasia müssen, um mehr über ihre kryptischen Hinweise zu erfahren. Doch sie selbst besaßen keinen Zugang. Daher entschieden sie, sich den Rest des Tages auf ihre Reise vorzubereiten.

Eddy, welcher sturzbetrunken in eine Sitzreihe des Theaters fiel und bis Nachmittags in ihr schlief, schloss sich V bei einigen Besorgungen an. Gemeinsam versorgten sie die Gruppe mit genügend Rationen, hielten für den Notfall ein paar Heiltränke bereit und statteten sich mit grundlegender Campingausrüstung aus.
Dicy nahm den Rest ihres Vorschusses und gönnte sich auf dem Schwarzmarkt ein paar Teile, auf die so schon eine Weile ihr mechanisches Auge warf. Dann bastelte sie bis spät in die Nacht an sich und Robb herum.
Als Eddy sagte:
„Wir wissen immer noch nicht, wie wir überhaupt nach Fantasia kommen.“
Antwortete sie kurz und knapp:
„Wissen wir.“

Am nächsten Morgen brachen sie nach einem dürftigen Frühstück auf. Dicy führte sie die Gassen entlang, wich dabei jeglichen Räubern, Dieben und anderen Gefahren aus und passte fieberhaft auf ihre übrigen Groschen auf.
„Wo bringst du uns hin, mh?“, fragte Eddy.
„Hab ’nen Kumpel, der uns nach Fantasia bringen kann.“
„Einfach so?“, zischte V.
„Einfach so.“
„Ich hör’ zum ersten Mal, dass einer deiner Freunde etwas einfach so macht.“
„Da staunst du, was?“

Sie kamen an einer baufälligen Hütte an. Die Fenster waren mit Brettern zugenagelt und über dem Dach war eine weite Plane gespannt, da ein Dach wohl überhaupt nicht existierte. Dicy klopfte dreimal. Es öffnete sich der Spion der Tür und ein schielendes, gläsernes Auge starrte heraus.
„Scheißßßße, wer bissss’n du?“, lispelte es.
„Komm schon, Alter, ich bin’s. Wir haben gestern erst gequatscht.“
„Haben wir?“
„Kann ich bitte mit jemand Anderem sprechen?“
„Was kann ich für sie tun?“, sagte die gleiche Person geschwollen.
„Du warst es auch nich’, Nächster.“
„Geh mir nich’ auf’n Sack, sonst knallt’s!“, brüllte die Person erzürnt.
„Nächster!“

Eddy ging näher an Dicy heran und flüsterte ihr von hinten ins Ohr.
„Du, sag mal, was machst du denn da?“
Sie lehnte sich ein wenig zurück und flüsterte ebenfalls.
„Der Typ ist Hacker. Ist irgendwann mal tief im Cyberspace hängen geblieben. Da wurde seine Persönlichkeit in zig Varianten seiner Selbst geteilt. Seitdem gibt’s ihn in wütend, schüchtern, edel, dumm und so weiter.“
„Wie geil ist das denn?“, staunte Eddy.

„Was wird denn da getuschelt? Redet ihr etwa über mich?“, echauffierte sich die Person hysterisch.
„Nein, pingelige Lady Ralph, ich brauche den dreckige Deals Ralph!“
„Ich bin dir wohl nicht gut genug, häääää?“, heulte kleines, trauriges Mädchen Ralph.
„Ich tret’ dir gleich die Tür ein, kapiert?“
„Schon gut, schon gut. Ist angekommen. Hereinspaziert“, entgegnete der dreckige Deals Ralph cool.
Hinter der Tür entriegelten sich dutzende Schlösser. Dann klickte sie auf und öffnete sich einen Spalt. Es offenbarte sich ein, in abwechselnden Neonfarben leuchtendes, akribisch und perfektionistisch geführtes Lager, welches mit den neusten Nanochips, den tödlichsten Waffen, den härtesten Drogen und den exotischsten Kleintieren gefüllt war.
„Was macht dein Freund nochmal?“, fragte V leise.
„Er schmuggelt Waren durch Fantasia.“
„Natürlich“, nickte er, Augen verdrehend.

Ralph ließ sich in seinen drehbaren Bürostuhl fallen und lehnte sich Arme verschränkend zurück.
„Was braucht ihr?“
„Wir müssen nach Fantasia.“
„Das ist einfach.“
„Klasse! Also, wir müssen ins Elfenreich, wissen aber nicht genau …“
„Kommen wir nun zum schwierigen Teil“, unterbrach er und lehnte sich nach vorn, wobei er sich mit seinen Ellenbogen auf den Knien abstützte. „Was ist für mich dabei drin?“, fragte beinharter Geschäftsmann Ralph.
„Das dachte ich mir schon, du gieriger …“
Dicy beendete die Beleidigung nicht, sondern hielt ihm stattdessen die rechte Hand entgegen. Darüber erschien ein flackernder Bildschirm, der eine Transaktion über 50 Credits animierte.
„Soviel zum Thema, einfach so“, schnalzte V erneut Augen verdrehend.

Ralph schaute für einen Moment auf Dicys Angebot. Dann hob er seinen Blick und grinste ihr frech ins Gesicht.
„Ich bitte dich.“
„Was willst du?“
„Nun“, begann Ralph und schlug dabei böse Pläne schmiedend die Hände vor seinem Mund zusammen. „Einer meiner Kunden ist mit einem Eilauftrag an mich herangetreten. Er beteuerte seine Dringlichkeit und bat mich, ihn mit oberster Priorität zu bearbeiten. Und ich würde dem ja nur zu gern gerecht werden, allerdings sind alle meine Mitarbeiter aktuell unterwegs und …“
„Vergiss es.“
„Hör dir doch erst mal an, was ich zu sagen habe.“
„Auf keinen Fall.“
Dicy verschränkte die Arme. Ralph sackte ein wenig zusammen und seufzte hämisch.
„Es handelt sich hier um einen Deal, von dem wir alle profitieren können“, fing glaubwürdige, vertrauensselige, alte Dame Ralph an zu verhandeln.
„Ich gewähre euch gratis Zugang nach Fantasia und ihr bringt dafür mein Paket nach Elfheim, Hauptstadt der Elfen. Von da aus könnt ihr problemlos in jeden Winkel des Reiches reisen.“
„Wir werden nicht …“
„Und obendrauf kümmere ich mich außerdem um eure Körper, solange ihr drinnen seid.“
„Wir müssen das von hier aus machen?“
„Ich schaffe nicht meine ganze Ausrüstung zu euch, klar? Bis ich da bin, hat man mir mein letztes Hemd vor der Nase weggeklaut!“, sagte ihnen hartgesottener, abgebrühter Draufgänger Ralph bestimmt.

„Klingt doch gar nicht so verkehrt, oder?“, flüsterte Eddy.
„In Elfheim finden wir auch am ehesten Informationen über das Manaleum“, murmelte V.
„Euch ist schon klar, dass wir hier gerade dabei sind, einem Schmuggler zu helfen. Wer weiß, was wir da liefern. Vielleicht ’ne Massenvernichtungswaffe!“, brüllte Dicy so leise wie möglich.
Die Drei standen mittlerweile eng umschlungen in einem Diskussionskreis und berieten sich über ihre nächste Entscheidung.
„Mich wundert es, dass du diejenige bist, die ein Problem damit hat“, stellte Eddy fest.
„Ich hab’ kein Problem damit. Ich will nur, dass euch bewusst ist, welche Art von Geschäft …“
„Ist es. Und ich denke, wir sollten es tun, außer wir wollen das Amt um einen Zugang fragen.“
„Auf keinen Fall!“, antwortete Eddy mit erhobener Stimme, was einen neugierigen Blick aus Ralph herauslockte.
Dicy trat aus dem Kreis und drehte sich zurück zu ihrem Geschäftspartner.
„Gut, wir machen’s“, sagte sie schulterzuckend.
„Fantastisch!“, jaulte der optimistische Ralph.

Er drückte Dicy eine Schatulle in die Hand und schob die Gruppe anschließend in den nächsten Raum. Dort waren drei Helme an Stuhllehnen befestigt. Bevor sie sich versahen, saßen Dicy, Eddy und V schon auf ihrem Po und hatten den Helm auf dem Kopf.
„Also, bringt das Kästchen einfach zum Lallenden Barden in Elfheim, dort wartet ein sogenannter Bark auf euch.“
„Moment, warte mal!“, kreischte ein überforderter Eddy.
„Sobald ihr drinnen seid, solltet ihr in Anfängerstadt sein. Nehmt einfach einen Ballon in die nächste Stadt und steigt in einen Weiteren um, der euch nach Elfheim bringt.“
Ralph senkte das Visier eines jeden Helms und drückte den Startknopf an der Seite.
„Viel Erfolg. Und macht euch keine Sorgen um eure Körper, die sind bei mir in guten Händen.“
Das Letzte, was Dicy und die Anderen sahen, bevor sich ihr Blick verfinsterte und ihr Bewusstsein in die digitale Welt gesogen wurde, war ein breit grinsender, zum Abschied winkender Ralph.

Als Nächstes flogen sie in einem Affenzahn durch einen Datenstrom, der sie schlauchförmig, einer Reise durch ein Wurmloch gleichend, in das Unbekannte führte. Am Ende des Kanals spuckte sie ein Portal in der Luft, welches aus binären Zahlenwirbeln bestand, auf einen grasigen Waldboden. Dichter Moosbewuchs dämpfte ihren Sturz und das umliegende Getier flüchtete vor dem Krach, den sie bei ihrer Ankunft verursachten. Eine Stimme in ihren Köpfen sagte allen das Gleiche:
„Herzlich willkommen in Fantasia.“

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